Die schöne Diebin
sinnen auf Rache.“
„Wenn wir nun aber in den nächsten Tagen keinen Beweis finden?“
„Dann bin ich vermutlich ruiniert. Cecil Witherspoon, mein wichtigster Geldgeber, führt den Kampf gegen The Cat an. Er brennt darauf, den Diebstählen ein Ende zu setzen. Sollte ihm das nicht gelingen, wird er sich nicht länger für die Tuchfabrik engagieren. Dann werden auch die anderen Investoren abspringen. Ich allein aber kann unmöglich für alle Kosten aufkommen.“
„Du fürchtest also wirklich, sie könnten dich im Stich lassen?“
„Ich weiß, dass sie es tun werden, wenn die Katze auch nur einen von ihnen noch einmal bestiehlt. Livingston würde am liebsten noch heute mit seiner Gattin nach London zurückkehren. Flack hat wahrscheinlich auch schon die Koffer gepackt. Und die anderen sind ebenso wenig wie diese beiden bereit, finanzielle Risiken einzugehen.“
Brandon schloss die Augen. Das Gespräch in Flacks Bibliothek hatte ihm einige neue Einsichten beschert. Vorher hatte er gehofft, alle Investoren noch eine Weile bei der Stange halten zu können. Er war fest entschlossen gewesen, in den nächsten Wochen die Arbeit an der Fabrik so schnell wie möglich voranzutreiben. Nun wusste er, dass er kaum Einfluss auf die zukünftige Entwicklung würde nehmen können. Alles hing vom Verhalten der Katze ab. Er musste zu einer Übereinkunft mit der schönen Diebin kommen, wenn er die Tuchfabrik retten wollte.
Jack hatte das Dilemma natürlich durchschaut. „Das wird The Cat gefallen“, stellte er fest. „Du musst dich zwischen ihr und der Fabrik entscheiden. Was ich besonders interessant finde, ist die Tatsache, dass du überhaupt an eine Entscheidung denkst. Bei Jupiter, alter Knabe, könntest du die Rettung dieser Verbrecherin tatsächlich über das Wohlergehen all jener Menschen stellen, die auf einen Arbeitsplatz in der Fabrik hoffen? Die Kleine scheint dich ja richtig eingewickelt zu haben!“
„Unsinn!“, rief Brandon gereizt.
„Ruhig, alter Freund! Mir liegt an deinem Wohlergehen. Nur deshalb wage ich es, so offen mit dir zu sprechen. Also, meiner Meinung nach hat The Cat es darauf angelegt, dass du dich in sie verliebst. Denn dadurch könnte es ihr gelingen, ihr Ziel zu erreichen. Sie spielt mit dir und deinen Empfindungen. Dabei geht es ihr allein darum, den Bau der Fabrik zu verhindern. Oder glaubst du, sie würde deine Gefühle erwidern?“
„Hör auf!“ Er hätte gern mehr gesagt, hätte Jack gern erklärt, dass niemand eine Leidenschaft vortäuschen konnte, wie er sie bei The Cat gespürt hatte. Aber er wusste, dass es sinnlos war. Nur jemand, der diese Frau in den Armen gehalten oder sie geküsst hatte, konnte verstehen, wie sinnlich, wie begehrenswert, wie hingebungsvoll und ehrlich sie sein konnte.
In diesem Moment kam die Kutsche vor dem Haupteingang von Stockport Hall zum Stehen. Die Freunde stiegen aus, und während sie die Stufen zu ihren Zimmern hinaufstiegen, wünschten sie einander ziemlich kühl eine gute Nacht und ein glückliches neues Jahr.
Nora schritt unruhig im kleinen Salon ihres Hauses auf und ab. Wann und wo sollte sie das nächste Mal zuschlagen? Seit dem Silvesterball hatte sie das Gefühl, ihrem Ziel ganz nahe zu sein. Sie hatte erfahren, dass noch immer zwei Investoren fehlten und dass die anderen stetig nervöser wurden. Wenn sie aus dem Projekt ausstiegen, würde in der Fabrik nie gearbeitet werden.
Damit hätte sie erreicht, was sie sich vorgenommen hatte. Sie würde Stockport-on-the-Medlock verlassen, so wie sie Leeds, Birmingham und Bradford verlassen hatte. The Cat konnte es sich nicht erlauben, länger als nötig an einem Ort zu bleiben.
Eleanor Habersham würde für immer von der Bildfläche verschwinden. Sie, Nora, würde sich eine neue Identität schaffen und sich ein neues Ziel setzen. Zu tun gab es genug. In der Gegend von Lancashire arbeiteten mehr als zehntausend Menschen in den zahlreichen Fabriken, zu denen ständig neue hinzukamen – Fabriken, in denen Männer und Frauen ausgebeutet wurden und in denen Kinder starben.
Die Vorstellung, ihr Werk zu vollenden und ihrem jetzigen Wirkungskreis den Rücken zu kehren, erfüllte sie nicht mit der gleichen Zufriedenheit wie früher. Zu ihrem Erschrecken musste sie sich eingestehen, dass sie sich plötzlich ganz leer fühlte. Wenn sie erst einmal fort war, würde sie Brandon Wycroft, den Earl of Stockport, nie wieder sehen. Sie würde mit dem Wissen leben müssen, dass sie verantwortlich war für seinen
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