Die schöne Diebin
die Fabrik geworden ist? Ist es möglich, dass sie seine Worte ernst genommen hat? Oder ist ihr nach unserer gemeinsamen Zeit klar, dass ich sie niemals hintergehen würde? Bei Jupiter, eigentlich sollte sie wissen, dass ich sie liebe und mir nichts sehnlicher wünsche, als sie zu heiraten.
Dann fiel ihm ein, dass er ihr seine Liebe nie mit Worten gestanden hatte. Zudem war sie nicht daran gewöhnt, ihren Mitmenschen zu vertrauen. Sie hatte zu viele Enttäuschungen erlebt.
Himmel, ich muss sie finden, ehe sie etwas Unvernünftiges tut!
Er beschloss, trotz allem auf der Terrasse nachzuschauen. Während er auf die geschlossene Tür zuging, musterte er die Paare auf der Tanzfläche und die Gruppen von Gästen, die überall zusammenstanden und sich unterhielten. Nora war nicht unter ihnen.
Er öffnete die Tür und warf einen Blick nach draußen. Es war unangenehm kalt geworden, und ein Windstoß riss an seinen Haaren. Bei diesem Wetter hielt sich natürlich niemand draußen auf. Brandon schloss die Tür. Wohin jetzt? Den Ruheraum der Damen konnte er natürlich nicht aufsuchen. Aber vielleicht hatte er Glück und Nora hatte sich etwas zu essen oder zu trinken geholt. Er machte sich auf den Weg zu dem Zimmer, in dem die Erfrischungen bereitstanden.
Nichts.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er bereits seit zwanzig Minuten nach Nora suchte. Selbst wenn sie sich in den Ruheraum zurückgezogen hätte, müsste sie sich längst wieder unter die Gäste im Ballsaal gemischt haben. Aber dort traf er nur auf Jack, dem er seine Befürchtungen sogleich mitteilte und der ihm riet, den Gastgeber zu fragen.
Der Squire lachte, als Brandon sich nach Nora erkundigte. „So schnell kann man seine Braut verlieren“, meinte er mit gutmütigem Spott. „Aber keine Sorge! Miss Hammersmith hat sich vor einer halben Stunde verabschiedet. Sie sagte, sie litte unter Kopfschmerzen, wolle Ihnen aber die Feier nicht verderben. Ich dachte, alles sei mit Ihnen abgesprochen. Die Dame hat die Kutsche genommen und noch extra erwähnt, dass sie den Kutscher gleich von Stockport Hall hierher zurückschicken wolle.“
Brandon zweifelte nun nicht mehr daran, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Nora hatte gewusst, dass er mit Jack über das sprechen wollte, was dieser herausgefunden hatte. Es war nicht zu übersehen gewesen, wie sehr auch sie darauf brannte zu erfahren, was aus Reggie Portman geworden war. Ohne triftigen Grund hätte sie den Ball nicht verlassen, ehe sie nicht im Besitz aller Informationen war. Selbst wenn starke Kopfschmerzen sie geplagt hätten, wäre sie nicht aufgebrochen, ohne sich nach den Neuigkeiten zu erkundigen.
Er runzelte die Stirn. Seit er Nora kannte, hatte sie nicht ein einziges Mal auch nur das kleinste Anzeichen einer Erkrankung gezeigt. Sie kletterte wie eine Katze, wusste Messer und Pistole zu gebrauchen wie ein Mann, streifte nachts furchtlos durch die Finsternis und nahm es mutig mit mehreren Gegnern gleichzeitig auf. Sie strotzte vor Kraft und Gesundheit. Kopfschmerzen passten so wenig zu ihr wie Satinunterwäsche zu Eleanor Habersham.
Der Gedanke heiterte ihn einen Moment lang auf, doch schon kehrte die Sorge zurück. „Ich fürchte, sie hat einen Teil unseres Gesprächs gehört und falsche Schlüsse daraus gezogen“, sagte er leise zu Jack. „Ich muss ihr folgen!“
„Lass dir deine Aufregung bloß nicht anmerken! Witherspoon beobachtet dich.“
„Schon gut.“ Lachend schlug er seinem Freund auf die Schulter, so als habe dieser einen guten Witz gemacht. „Ich muss wissen, ob mein Kutscher schon zurück ist. Kommst du mit?“
Gemeinsam verließen sie den Ballsaal, wobei sie darauf achteten, hier und da kurz stehen zu bleiben, um mit den Gästen ein paar Worte zu wechseln und sich den Anschein zu geben, guter Laune und völlig entspannt zu sein.
Endlich standen sie vor dem Haus. Sein Landauer war nicht unter den dort wartenden Kutschen. „Ich brauche ein Pferd“, stellte Brandon fest und machte sich mit großen Schritten auf den Weg zum Stall, um einem der Burschen einen entsprechenden Auftrag zu erteilen.
Jack, der ihm nachgeeilt war, konnte gerade noch fragen: „Wohin willst du?“
„Nach Hause!“ Schon schwang Brandon sich auf eines von Squire Badleys Pferden. Nora würde – dessen war er sich sicher – zuerst den Schmuck zurücklegen, sich dann vermutlich als The Cat kostümieren und anschließend so schnell wie möglich verschwinden. Aber mit etwas Glück konnte er sie noch
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