Die schöne Diebin
kleinste Sorge. Ist dir eigentlich klar, was passiert, wenn The Cat tatsächlich gefasst wird und Witherspoon feststellt, dass sie genau wie meine Verlobte aussieht?“
„Eine Katastrophe!“, stimmte sein Freund zu. „Was willst du tun, um das zu verhindern?“
„Nun, wir müssen Nora vor den anderen finden. Ich habe die eine oder andere Idee, wo sie sein könnte.“
Es war eine mondlose Nacht, so dunkel, dass die Männer, die sich aufmachten, um The Cat zu fangen, sich nicht auf ihre Augen verlassen konnten. Brandon war das nur recht. Je schlechter die Chancen für Witherspoon und seine Helfer standen, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass die Katze entkam.
Während des Nachmittags hatte er alles darangesetzt, um Nora zu finden, ohne sich selbst verdächtig zu machen. Er hatte sie in Old Grange gesucht, bei Mary Malone und in jedem leer stehenden Cottage, das er kannte. Vergeblich.
Ob sie die Gegend schon verlassen hatte? Einerseits wünschte er das von ganzem Herzen, denn dann wäre sie in Sicherheit. Andererseits erfüllte die Vorstellung, sie nie wiederzusehen, ihn mit größter Trauer.
In der Ferne hörte er Hundegebell. Die Tiere schienen näher zu kommen. Brandon wechselte einen Blick mit Jack, der sich daraufhin an Witherspoon wandte. „Wollen Sie Hunde einsetzen? Bei Jupiter, das ist doch keine Fuchsjagd!“
„Nun, mir scheinen Hunde genau das Richtige zu sein, um eine Katze aus ihrem Versteck zu treiben“, gab Witherspoon zurück, der seine Abneigung gegen den dandyhaften Lord Wainsbridge kaum verbergen konnte. „Wir haben beschlossen, nichts dem Zufall zu überlassen. Diesmal wird uns The Cat nicht entkommen! Reiten wir los! Jeder bleibt bei seiner Gruppe!“
„Halali“, murmelte Jack und setzte, nur für Brandons Ohren bestimmt, leise hinzu: „Der Kerl hält sich für einen General. Mich wundert nur, dass er sich keinen Säbel umgeschnallt hat.“
„Er ist sehr von sich überzeugt. Aber das kann durchaus von Vorteil für uns sein. Selbstüberschätzung macht unvorsichtig.“
„Das wollen wir hoffen …“
19. KAPITEL
Endlich neigte der Tag sich dem Ende zu. Nora, die zusammengerollt auf dem Boden gelegen hatte, richtet sich auf und streckte sich. In dem kleinen Erdloch unter der Küche von Old Grange – als Keller konnte man es kaum bezeichnen – hatte sie nur wenig Platz. Trotzdem dankte sie dem Schicksal dafür, dass sie ein Haus mit einem solchen Geheimraum hatte mieten können. Gleich zu Anfang ihrer Zeit als Eleanor Habersham hatte sie im Keller nicht nur ein paar Vorräte untergebracht, sondern auch mehrere Decken und ein paar andere Kleinigkeiten.
Sie strich sich glättend durchs Haar und stellte fest, dass sich Spinnweben darin verfangen hatten. Trotzdem wollte sie sich nicht beklagen. Schließlich hatte der winzige Vorratsraum noch vor wenigen Stunden seinen Zweck erfüllt und ihr als sicheres Versteck gedient. Sie hatte etwas gezittert, als über ihr Schritte zu hören waren. Aber im Grunde hatte sie gewusst, dass niemand nach einer Falltür suchen würde.
Dann hatte oben jemand nach ihr gerufen. Stockport! Seine offensichtliche Sorge hatte sie mit Befriedigung erfüllt. Offenbar hielt er sie für durchaus fähig, seine Pläne als zukünftiger Fabrikant doch noch zu durchkreuzen. Nun, er hatte recht. Entweder man würde sie fassen, dann wäre sein Ruf ruiniert. Oder sie würde den Häschern entkommen. Dann wäre seine Fabrik ruiniert.
Nora war natürlich klar, in welcher Zwickmühle Brandon sich befand. Wenn er sich entschied, sie weiter zu schützen, dann brachte er damit die Tuchfabrik in Gefahr. Wenn er sich aber entschloss, die Diebin ins Gefängnis zu bringen, dann würde man in ihr seine Verlobte erkennen. Das wäre das Ende seiner gehobenen Position innerhalb der vornehmen Gesellschaft. Was also würde er tun?
Sie zündete eine der Kerzen an, die sie schon vor längerer Zeit in weiser Voraussicht ebenfalls in den Keller gebracht hatte. Ihr Blick fiel auf das grüne Ballkleid, das zerknittert und fleckig in einer Ecke lag. Es war mühsam gewesen, die vielen kleinen Knöpfe auf dem Rücken zu öffnen, und während sie sich umzog, hatte sie unentwegt daran denken müssen, mit welchem Geschick Brandon ebendiese Knöpfe geschlossen hatte. Wie männlich, wie verführerisch hatte er ausgesehen, als er vollkommen nackt und ohne Scham zu ihr getreten war, um ihr den Smaragdschmuck anzulegen! Ihr Herz wollte vor Schmerz zerspringen, wenn sie daran
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