Die schöne Diebin
einholen!
Noch nie war Brandon der Weg von Wildflower nach Stockport Hall so weit erschienen. Endlich brachte er das Pferd vor dem Haupteingang zum Stehen, schwang sich aus dem Sattel und rannte ins Haus. „Nora!“, rief er. „Liebling! Wo bist du?“
Von oben hörte er Geräusche, und Hoffnung regte sich in ihm. Aber es waren nur Harper und Ellie, die auf sein Rufen herbeieilten.
„Euer Lordschaft, Miss Hammersmith ist nur ein paar Minuten lang hier gewesen. Sie hat den Schmuck abgelegt und ein paar Kleidungsstücke in eine Tasche gestopft. Dann ist sie wieder fort, ohne auch nur das Ballkleid auszuziehen.“
Jack kam gerade rechtzeitig, um die letzten Worte zu hören.
„Was willst du tun?“, fragte er seinen Freund.
„Zunächst einmal mit dem Stallmeister reden. Ich muss wissen, ob Nora sich ein Pferd hat satteln lassen. Harper?“
„Ich bin schon unterwegs, Mylord.“
Brandon eilte, gefolgt von Jack, nach oben, wo er alles so vorfand, wie er es erwartet hatte. Auf Noras Frisiertisch lag der Familienschmuck der Stockports, im Schrank hingen die neuen Kleider. Brandon stöhnte auf.
„Es tut mir so leid …“, murmelte Jack.
„Ich fühle mich miserabel. Bei Jupiter, ich darf mir gar nicht ausmalen, wie Nora darunter leiden muss, dass sie sich von mir verraten fühlt.“
„Du ziehst voreilige Schlüsse“, wandte sein Freund ein. „Vielleicht hatte sie von Anfang an vor, euer Spiel heute Abend zu beenden. Hast du mir nicht selbst berichtet, dass ihr euch zunächst auf eine Verlobungszeit von zwei Wochen geeinigt habt? Die Zeit ist längst vorbei. Sie hätte dich morgen früh wahrscheinlich sowieso verlassen. Sollte sie unsere Unterhaltung tatsächlich gehört haben, so wird sie lediglich gedacht haben, dass es sicherer sei, ein paar Stunden eher zu verschwinden.“
Mit einem neuerlichen Stöhnen ließ Brandon sich in einen Sessel sinken. „Ich bin ein Idiot“, jammerte er. In diesem Moment hätte er nicht zu sagen gewusst, ob Jack mit seinem Verdacht recht hatte. Vielleicht hatte Nora ihn wirklich nur benutzt, schließlich hatte er ihr den Schutz geboten, den The Cat so dringend brauchte. Daran allerdings hatte er seit Tagen nicht mehr gedacht. Irgendwann hatte er begonnen, in Nora nicht mehr die Diebin, sondern nur noch die bezaubernde Frau zu sehen, die er heiraten wollte.
„Ich habe sie geliebt“, sagte er wie zu sich selbst. „Aber hat sie meine Gefühle jemals erwidert?“
Ihm fiel ein, wie hartnäckig sie sich seinen Heiratsplänen widersetzt hatte. Und plötzlich fragte er, ob die Leidenschaft, die sie bei ihren Umarmungen an den Tag gelegt hatte, nur ein Trick gewesen war, um sein Misstrauen einzuschläfern.
In diesem Moment klopfte es, und Harper erschien mit der Nachricht, dass der Stallmeister unten auf Seine Lordschaft warte.
Brandon sprang auf. Als er aus dem Zimmer stürzte, hörte er gerade noch, wie Jack sagte: „Wir werden bald wissen, alter Knabe, was dein Kätzchen wirklich für dich empfunden hat.“
Noch vor elf Uhr am nächsten Tag wusste ganz Stockport-on-the-Medlock, dass The Cat wieder zugeschlagen hatte. Und zwar nicht nur an einem Ort. Der Einbrecher war in einer Nacht gleich in drei Häuser am Cheetham Hill eingestiegen. Da die Herrschaften alle auf dem Ball in Wildflower gewesen waren, hatte der Dieb leichtes Spiel gehabt. Ob es daran lag, dass diesmal der Wert der gestohlenen Güter viel größer war als früher?
Brandon vermutete, dass die Katze die Gegend um Manchester verlassen wollte und deshalb eine größere Summe brauchte. An ihrem neuen Wohnort würde sie eine Zeit lang keine Einnahmen haben. Sie musste sich eine neue Identität aufbauen und Informationen über ihre zukünftigen Opfer einholen. Erst danach konnte sie wieder auf Diebestour gehen.
Großer Schmerz erfüllte ihn, wenn er an Nora dachte. Hatte er sie unabsichtlich durch sein Gespräch mit Jack vertrieben? Oder hatte sein Freund recht mit der Annahme, dass Nora von Anfang an vorgehabt hatte, nur eine Weile bei ihm zu bleiben und sich dann heimlich davonzustehlen? Von Zweifeln zerrissen, schloss er sich in sein Zimmer ein, nachdem er Jack gebeten hatte, sich im Ort nach Neuigkeiten umzuhören.
Er hatte noch nicht lange grübelnd dagesessen, als Cedrickson klopfte, um ihm mitzuteilen, dass Witherspoon und St. John ihn zu sprechen wünschten und in der Bibliothek warteten. Widerwillig begab er sich nach unten.
„Gentlemen, bitte, setzen Sie sich.“ Er selbst nahm in dem Sessel
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