Die schöne Diebin
zurückdachte.
Sie hatte sich gezwungen, ihre Gedanken auf ihr altes und noch immer wichtiges Ziel zu richten. Sie musste den Bau der Fabrik verhindern. Es war an der Zeit, sich wieder an die Arbeit zu machen. Also hatte sie ihr Katzenkostüm angezogen.
Jetzt war sie froh darüber, dass sie in der letzten Nacht so gute Beute gemacht hatte. Sie fühlte sich besser als noch vor einigen Stunden. Prüfend schaute sie an sich hinunter. Die enge Hose und das dunkle Hemd passten ihr wie eine zweite Haut. Auch der dunkle Umhang war ihr so vertraut, dass sie einen Moment lang das Gefühl hatte, während der Tage, die sie in Stockport Hall verbracht hatte, ständig verkleidet herumgelaufen zu sein.
Sie steckte ihr dunkles Haar hoch und setzte eine blonde Perücke auf, für die sie viel Geld ausgegeben hatte, die allerdings auch besonders gut gearbeitet war. Zum Schluss band sie sich nach Piratenart noch das Kopftuch um, das sie stets trug, wenn sie als The Cat unterwegs war. Nun sah sie ganz und gar nicht mehr aus wie Nora Hammersmith. Auf den ersten oder zweiten Blick würde jetzt niemand in ihr Stockports Braut erkennen. Gut! Zwar hatte sie nicht die Absicht, sich erwischen zu lassen, aber die Gefahr, dass jemand ihr die Maske vom Gesicht reißen würde, bestand dennoch.
In einer Ecke des Kellers stand eine kleine Kiste, die Nora jetzt öffnete. Es befanden sich mehrere Waffen darin: ein Paar Duellpistolen, verschiedene Messer und eine weitere kleine Handfeuerwaffe, wie sie speziell für Frauen hergestellt wurden. Für die entschied Nora sich. Sie steckte die Pistole in den Gürtel und suchte nach der dazugehörigen Munition. Ah, da war sie. Nun fehlten nur noch das Pulverhorn und ein Seil.
Sie hob den Kopf und schaute zur Falltür, zu der eine schmale Leiter hinaufführte. Dann allerdings wandte sie sich noch einmal der Kiste zu. Sie würde auch ein Messer mitnehmen. In Gedanken ging sie noch einmal durch, was sie brauchte. Sie hatte nichts vergessen.
Am Fuß der Leiter lag die Satteltasche, in der alles verstaut war, was Nora in der vergangenen Nacht gestohlen hatte. Nach kurzem Überlegen beschloss sie, das Diebesgut vorerst im Versteck zu lassen. Wenn ihr Plan aufging, würde sie noch einmal nach hier zurückkehren. Auch auf den Sattel wollte sie verzichten. Das Zaumzeug allerdings brauchte sie.
Jetzt endlich kletterte Nora die Leiter hinauf. In der Küche lauschte sie noch einmal konzentriert auf jedes Geräusch. Niemand war da. Sie konnte das Haus ohne Bedenken verlassen.
Draußen atmete sie ein paarmal tief durch. Die frische Nachtluft tat ihr nach den Stunden im stickigen Keller wohl. Sie streckte sich erneut und pfiff dann nach ihrem Pferd. Es war daran gewöhnt, sich frei in der Umgebung von Old Grange zu bewegen. Auf diese Art würde es niemanden zu ihr führen. Wenn jemand, zum Beispiel Stockport, versuchen sollte, dem Tier zu folgen, würde es ihn vermutlich zu einer netten kleinen Tour in die Umgebung mitnehmen, ihn aber nicht zum erwünschten Ziel bringen.
Es dauerte nicht lange, bis der Wallach aus der Dunkelheit auftauchte und gehorsam zu ihr hintrabte. Sie zäumte ihn auf und schwang sich auf seinen Rücken. Gelegentlich ritt sie gern ohne Sattel.
Dass der Himmel bedeckt war, erschwerte ihr Vorankommen. Andererseits war sie dankbar für die Dunkelheit, die ihr Schutz bot. Sie hatte die Richtung zur Fabrik eingeschlagen, hielt das Pferd aber ein paar Hundert Meter von dem Gebäude entfernt an und stieg ab. Zu Fuß schlich sie sich näher.
Ah, Stockport hatte Wachen eingestellt. Nun, das war nicht wirklich eine Überraschung. Schließlich hing seine Zukunft davon ab, dass die Fabrik schnell fertig wurde und so bald wie möglich Gewinn abwarf. Nora beobachtete genau, wie die Wachleute sich verhielten. Alle zehn Minuten machten sie ihre Runde. Damit blieb ihr Zeit genug, eine Pulverspur zu legen, das Pulver in sicherer Entfernung von den Mauern anzuzünden und die Flucht zu ergreifen.
Die Wachen tauchten aus der Dunkelheit auf und verschwanden wieder. Sogleich machte Nora sich an die Arbeit. Bald darauf war sie wieder in ihrem Versteck. Ehe sie das Pulver entzündete, wollte sie die Wachleute noch einmal vorbeilassen.
Das erwies sich allerdings als Fehler. Je länger sie darüber nachdachte, was es für Brandon bedeuten würde, wenn ein Teil der Fabrik in Flammen aufging, desto weniger konnte sie sich dazu überwinden, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er wäre ruiniert. Und sie würde ihn sich
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