Die schöne Diva von Saint-Jacques
Schließlich noch einen kleinen schwarzen Stein, ein Basaltkiesel, der das Feuer überstanden hat und dort lag, wo der Beifahrersitz gewesen war. Sicherlich der letzte Rest vom Inhalt einer Handtasche, die auf dem Sitz rechts von der Fahrerin abgelegt wurde. Ansonsten nichts. Die Schlüssel hätten dem Feuer eigentlich auch widerstehen müssen. Aber merkwürdigerweise hat man keinerlei Reste von Schlüsseln in dem Wagen gefunden. Ich habe meine ganze Hoffnung auf den Stein gesetzt. Verstehen Sie? Meine drei anderen Vermißten waren große Männer. Also galt mein erster Besuch Pierre Relivaux. Ich habe ihn gefragt, ob seine Frau wie alle Leute ihre Schlüssel mitnimmt, wenn sie weggeht. Nun, sie nicht. Sophia versteckte ihre Schlüssel im Garten wie ein kleines Mädchen, hat Relivaux gesagt.«
»Natürlich«, sagte Alexandra mit dem Anflug eines Lächelns. »Meine Großmutter hatte eine panische Angst, ihre Schlüssel zu verlieren. Sie hat uns allen eingetrichtert, unsere Schlüssel wie die Eichhörnchen zu verstecken. Wir haben sie nie bei uns.«
»Aha«, sagte Leguennec. »Ich verstehe. Ich habe Relivaux den Basaltstein gezeigt, ohne von dem Fund in Maisons-Alfort zu sprechen. Er hat ihn ohne zu zögern wiedererkannt.«
Alexandra streckte die Hand nach dem Beutel aus.
»Tante Sophia hatte ihn am Tag nach ihrem ersten Bühnenerfolg an einem griechischen Strand aufgelesen«, murmelte sie. »Sie verließ das Haus nie ohne ihn, das hat Pierre manchmal fast wahnsinnig gemacht. Uns hat das sehr amüsiert, und jetzt hat also der kleine Stein... Eines Tages sind sie in die Dordogne gefahren, und mehr als hundert Kilometer hinter Paris haben sie umkehren müssen, weil Sophia ihren Stein vergessen hatte.
Ja, sie hatte ihn immer in ihrer Handtasche oder in der Manteltasche. Von den Kostümschneiderinnen hat sie verlangt, daß in jedes ihrer Kostüme eine kleine Innentasche genäht wurde, damit sie ihn bei sich tragen konnte. Sie hätte nie ohne ihn gesungen.«
Vandoosler seufzte. Wie anstrengend diese Griechen manchmal sein konnten.
»Wenn Ihre Ermittlungen abgeschlossen sind«, fuhr Alexandra leise fort, »dann... wenn Sie ihn nicht mehr aufbewahren müssen, dann hätte ich ihn gern. Es sei denn, mein Onkel Pierre...«
Alexandra gab Inspektor Leguennec den Beutel zurück; Leguennec nickte.
»Im Augenblick behalten wir ihn natürlich. Aber Pierre Relivaux hat keinerlei dahingehende Bitte geäußert.«
»Was hat die Polizei für Vermutungen?« fragte Vandoosler.
Alexandra hörte den alten Bullen gern reden, den Onkel oder den Paten, wenn sie richtig verstanden hatte, von dem Typen mit den Ringen. Sie war dem ehemaligen Kommissar gegenüber ein bißchen mißtrauisch, aber seine Stimme war beruhigend und aufmunternd. Selbst wenn er gar nichts Besonderes sagte.
»Wollen wir nach nebenan gehen?« fragte Marc. »Wir könnten was trinken.«
Alle gingen schweigend hinüber, und Mathias schlüpfte in sein Jackett. Es war an der Zeit, ins Tonneau zur Arbeit zu gehen.
»Macht Juliette nicht zu?« fragte Marc.
»Nein«, erwiderte Mathias. »Aber ich werde für zwei bedienen müssen. Sie ist ziemlich wacklig auf den Beinen. Als Leguennec sie vorhin bat, den Stein zu identifizieren, hat sie um eine Erklärung gebeten.«
Leguennec breitete untröstlich seine kurzen Arme aus.
»Die Leute wollen Erklärungen«, sagte er, »und das ist ja ganz normal – und dann werden sie ohnmächtig, und das ist auch normal.«
»Bis heute abend, heiliger Matthäus«, sagte Vandoosler. »Geben Sie auf Juliette acht. Also, Leguennec, die ersten Vermutungen?«
»Madame Simeonidis ist vierzehn Tage nach ihrem Verschwinden gefunden worden. Ich brauche dir nicht zu sagen, daß es angesichts des Zustands der Leiche, die teils verkohlt, teils völlig verbrannt war, unmöglich ist zu sagen, zu welchem Zeitpunkt der Tod eingetreten ist: Vielleicht ist sie vor vierzehn Tagen getötet und dann in das verlassene Auto geschleppt worden, oder sie ist letzte Nacht umgebracht worden. In letzterem Fall: Was hat sie in der Zwischenzeit gemacht, und warum? Vielleicht ist sie auch selbst dorthin gekommen, um auf jemanden zu warten, und ist in eine Falle geraten. In dem Zustand, in dem sich die Gasse befindet, ist es unmöglich, noch irgendwelche Spuren zu finden. Überall Ruß und Trümmer. Offen gestanden fangen die Ermittlungen unter schlechtestmöglichen Bedingungen an. Es gibt kaum Anhaltspunkte: Bei der Frage nach dem ›Wie?‹ kommen wir nicht weiter.
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