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Die schöne Diva von Saint-Jacques

Die schöne Diva von Saint-Jacques

Titel: Die schöne Diva von Saint-Jacques Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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ebenfalls verstimmt und verzog das Gesicht. Trotzdem zeigte er schließlich mit dem Finger auf ein Gesicht.
    »Der da«, sagte er leise. »Aber ich kann ihn nicht einordnen.«
    Lucien nickte.
    »Ganz genau«, sagte er. »Und ich kann ihn einordnen.«
    Er warf erst einen raschen Blick in Richtung Bar, dann ins Restaurant und beugte sich schließlich ganz dicht zu Marc und Vandoosler.
    »Georges Gosselin, der Bruder von Juliette«, flüsterte er.
    Vandoosler ballte die Fäuste.
    »Kümmer du dich um die Rechnung, heiliger Markus«, sagte er knapp. »Wir verziehen uns sofort in die Baracke. Sag dem heiligen Matthäus, er soll zu uns kommen, sobald er mit seiner Arbeit fertig ist.«

 
     
32
     
    Mathias fuhr sich durch sein widerspenstiges blondes Haar und verstrubbelte es noch stärker, als eigentlich möglich war. Die anderen hatten ihn gerade informiert, und er war wie betäubt. Er hatte nicht einmal seine Kellnerkleidung abgelegt. Lucien, der der Ansicht war, das Seine getan zu haben – und zwar brillant –, hatte beschlossen, die Sache nun seinen Partnern zu überlassen und sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Er hatte beschlossen, bis zu seiner Verabredung mit dem Fotografen um sechs Uhr, bei der er die Abzüge des ersten Hefts bekommen sollte, den großen Holztisch im Refektorium zu wachsen. Dieser Tisch gehörte ihm, er hatte ihn ins Haus gebracht und erwartete, daß er nicht von Primitiven wie Mathias oder Nachlässigen wie Marc versaut würde. Er wachste ihn also gründlich ein, wobei er abwechselnd die Ellbogen von Vandoosler, Marc und Mathias anhob, um mit einem dicken Lappen darunter durchzufahren. Niemand protestierte, weil ihnen klar war, daß das sinnlos gewesen wäre. Abgesehen von dem Geräusch des reibenden Lappen auf dem Holz herrschte Stille im Refektorium, jeder war damit beschäftigt, die jüngsten Ereignisse in seinem Kopf zu sortieren und darüber nachzudenken.
    »Wenn ich recht verstehe«, sagte Mathias schließlich, »dann soll Georges Gosselin Sophia vor fünfzehn Jahren in ihrer Garderobe überfallen und versucht haben, sie zu vergewaltigen. Dann hat er sich aus dem Staub gemacht, und dabei hat Daniel Dompierre ihn gesehen. Sophia hat nichts gesagt, weil sie dachte, es war Julien, richtig? Mehr als ein Jahr später begegnet Dompierre Gosselin und erkennt ihn, Gosselin erschießt ihn deshalb samt seinem Freund Frémonville. Mir scheint es schlimmer, zwei Typen umzubringen, als wegen Körperverletzung und Vergewaltigung angeklagt zu werden. Dieser Doppelmord ist doch bescheuert und absolut maßlos.«
    »In deinen Augen«, bemerkte Vandoosler. »Aber für einen schwachen und heuchlerischen Kerl kann die Aussicht auf Knast wegen Körperverletzung und Vergewaltigung unerträglich sein. Verlust seiner Ehrbarkeit, seiner Arbeit, seiner Ruhe. Vielleicht hat er es auch nicht ertragen, daß man ihn als das ansah, was er war, ein Rohling und Vergewaltiger? Dann kam’s zum Rette-sich-wer-kann, er geriet in Panik und hat die beiden umgebracht.«
    »Seit wann wohnt er hier in der Rue Chasle?« fragte Marc. »Weiß man das?«
    »Es müssen zehn Jahre sein, glaube ich«, erwiderte Marc. »Seitdem der Großvater mit den Rüben ihnen seine Kohle hinterlassen hat. Jedenfalls hat Juliette das Tonneau seit etwa zehn Jahren. Ich vermute, daß sie das Haus zur gleichen Zeit gekauft haben.«
    »Das heißt also fünf Jahre nach Elektra und dem Überfall«, sagte Marc. »Und vier Jahre nach der Ermordung der beiden Kritiker. Warum sollte er nach all dieser Zeit in die Nähe von Sophia gezogen sein? Warum zieht er in ihre Nähe?«
    »Eine fixe Idee, vermute ich«, sagte Vandoosler. »Eine fixe Idee. Zu der Frau zurückkehren, die er schlagen und vergewaltigen wollte. Zum Objekt seiner Begierde, nenn es, wie du willst. Zurückkehren, überwachen, ausspähen. Zehn Jahre spähen, wilde und geheime Gedanken. Und sie dann eines Tages umbringen. Oder es von neuem versuchen und sie dann umbringen. Ein Kranker hinter der Fassade eines ganz unauffälligen und gutmütigen Menschen.«
    »Gibt’s sowas?« fragte Mathias.
    »Aber ja«, antwortete Vandoosler. »Ich habe mindestens fünf Typen dieses Kalibers geschnappt. Der langsame Mörder, der auf seinen Frustrationen herumkaut, den Trieb immer unterdrückt und äußerlich ganz ruhig bleibt.«
    »Entschuldigung«, sagte Lucien und hob Mathias’ breite Arme hoch.
    Lucien war jetzt sehr damit beschäftigt, den Tisch mit einer Bürste zu polieren, und beteiligte sich

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