Die schoene Frau Seidenman
Verkäufers neigten sich einander zu. Der Verkäufer sah aus wie ein Vogel, etwas Habichtähnliches lag in der raubtierhaften Form seiner Nase und im Schnitt seiner Lippen. Über der Stirn rotes Haar. Knorrige Finger auf der Zigarettenschachtel im Licht der Petroleumflamme. Der Soldat nahm die Zigaretten, zahlte und ging. Der Verkäufer zog seinen Kopf ins Innere der Bude zurück. Vermutlich machte er sich wieder ans Schreiben seines wilden, ergreifenden Romans. Der Roman wird in zwanzig Jahren erscheinen, und Paweł wird seinen Anteil daran haben. Doch die Asche seines Verfassers wird der Wind des Aufstands verwehen.
»Ein Bekannter wäre geneigt, zwei Miniaturen abzugeben. Mitte 18. Jahrhundert. Sehr schön. Aber es sind Familienstücke, Herr Apolinary.«
»Alle haben jetzt Familienstücke, sogar aus dem Mittelalter«, seufzte der Schneider. »Wann kann man die sehen?«
»Schon morgen«, antwortete Pawełek. »Ich könnte diesen Herrn anrufen.«
»Wieviel?« warf Kujawski leicht hin und beugte sich vor, um die Schnürsenkel an seinem gelben Gamslederschuh zu richten.
»Erst sehen Sie sich das an, dann kann man reden.«
»Womöglich gefälscht?« sagte der Schneider. »Es gibt jetzt so einen Schubjak in Tschenstochau, der macht Miniaturen dutzendweise.«
»Jemanden wie Sie kann man doch nicht betrügen«, entgegnete Pawełek ehrlich. »Sie kennen sich besser damit aus als alte Sammler.«
»Versteht sich«, sagte Kujawski. »Die alten Sammler hatten es mit anständigen Leuten zu tun. Das waren Vorkriegszeiten. Jetzt herrscht ein anderer Geist im Volk. Gut! Aber morgen kann ich nicht, ich muß mich mit einem wichtigen Kunden treffen. Verabreden Sie das für übermorgen.«
»Kaufen Sie morgen etwas Wertvolles, Herr Apolinary?« fragte Pawełek.
Kujawski brach in Gelächter aus.
»Ach was! Ich nehme einem Deutschen Maß für Reithosen.«
Fela kam zurück. Es war nun fast dunkel. Sie zog an ihrer Zigarette, und das rote Glutpünktchen erhellte für einen Augenblick ihr Gesicht. Sie war schon an ihnen vorbei, als ihr etwas einfiel.
»Herr Kujawski«, sagte sie, »Sie erinnern sich doch an den Hausmeister von Nr. 7, wie?«
»Den alten Kubuś?« fragte der Schneider.
»Nicht den alten«, antwortete sie. »Von dem alten rede ich nicht. Der Schielige, der mich immer Zitze nennt! Fela Zitze hat er mich gerufen. Den haben sie gestern auf der Zielna-Straße bei einer Schießerei umgebracht.«
»Was Sie nicht sagen!« rief Kujawski, obwohl er keine Ahnung hatte, von wem Fela sprach. »Auf der Stelle umgebracht?«
»Herzschuß«, sagte Fela und schüttelte sich. Ihre Schlüssel klingelten laut.
»Da muß eine Aktion gewesen sein«, folgerte Pawełek.
»Aktion, Aktion«, ereiferte sich Fela. »Angetrunken hat er sich und dann einen Deutschen angefallen. Und der zweite hat ihn erschossen. Direkt ins Herz.«
»Solch ein Unglück«, sagte Kujawski. »Schade um den Menschen.«
»Bessere als er kommen um«, antwortete Fela, wandte sich ab und ging davon ins Dunkel. Schwer auftretend, sagte sie noch vor sich hin: »Fela Zitze, das fehlte noch!«
Der Schneider Kujawski meinte leise: »Mit der Zitze hatte der Tote recht. Ich hab' den Kerl nicht gekannt. Aber schade um den Menschen. Was diese Deutschen anrichten, was die nicht alles anrichten…«
Gleich darauf trennten sie sich. Der Schneider ging in Richtung Miodowa-Straße, Pawełek zur Altstadt. Der Schneider dachte an die Miniaturen aus dem 18. Jahrhundert, Pawełek an den erschossenen Mann. Hatte er Schmerz empfunden, als die Kugel sein Herz traf? Wie geht das Sterben vor sich? Was sieht der Mensch dann? Sieht der Mensch dann Gott, zeigt er sich dem Menschen, damit der letzte Moment leichter ist, um ihm die Angst zu nehmen? Gewiß zeigt er sich in der letzten Sekunde, im letzten Lichtstrahl, der das Auge erreicht, aber nie früher, denn der Mensch könnte überleben, gesund werden und den anderen sagen, was er gesehen hat. Also zeigt sich Gott erst im letzten Moment, wenn Er absolute Gewißheit hat, daß es der Tod ist…
Verblüfft und beschämt blieb er stehen. Was bist du für ein Dummkopf, sagte er sich. Gott muß doch nicht auf den richtigen Moment warten, Er kennt ihn genau, Er setzt ihn selbst fest. Wann also zeigt Er sich dem sterbenden Menschen?
Er ging weiter. Eine Zeitlang dachte er noch an Gott, daß Er sich jetzt unablässig verschiedenen Menschen in der Stadt zeigen müsse, ohne
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