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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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hielt er auf den Knien fest.
    »Frau Seidenman ist in der  Schuch-Allee «, sagte Pawełek.
      »Warum gleich in der Schuch-Allee?« fragte der Eisenbahner ungläubig. »Nicht alle werden dorthin gebracht.«
      »Sie aber doch«, sagte Pawełek. Er berichtete die Geschehnisse. Der Jude auf der Krucza-Straße, die Rikscha, die Gestapo, Dr. Korda, Pawełek. »Das ist alles, was ich weiß.«
      »Sie hat blondes Haar«, sagte Filipek, »und sehr blaue Augen.«
      »Aber das war wohl ein Bekannter, vermutlich aus der Zeit vor dem Kriege. Irgendein Jude von vor dem Kriege…«
    »Alle Juden sind von vor dem Kriege«, entgegnete der Eisenbahner. »Wir sind auch von vor dem Kriege. Wenn er sie als Frau Seidenman erkannt hat, dann sind sie wohl tatsächlich zur Schuch-Allee gefahren.«
    »Überlegen Sie sich was, Herr Filipek«, sagte Pawełek heftig.
      »Das tue ich doch gerade. Meinst du, ich überlasse die Frau von Dr. Seidenman ihrem Schicksal? Er hat mir das Leben gerettet. Da sollte ich sie im Stich lassen? Du kennst mich wohl nicht richtig, Pawełek.«
      »Ich kenne Sie, deshalb habe ich gleich bei Ihnen angerufen. Ich weiß noch gut, daß Sie überhaupt nicht gehen konnten…«
    »Nur auf Krücken.«
      »Und dann hat Dr. Seidenman Sie geheilt. Ich weiß noch, wie ich Sie die Treppen vom zweiten Stock heruntergeführt habe und Sie beide Beine nachzogen.«
      »Er hat mich geheilt, mich nach Truskawiec geschickt, mir Geld geborgt. Übrigens dein Vater auch. Aber hauptsächlich Dr. Seidenman. Erinnerst du dich noch an sein Begräbnis, Pawełek?«
      Pawełek erinnerte sich nicht, weil Dr. Seidenman im Sommer gestorben war, während die Jugend sich in den Ferienorten aufhielt, nickte aber, um den Eisenbahner nicht zu enttäuschen.
      »Ich dachte, ich sterbe früher, statt dessen ist er unverhofft abgetreten. Das war ein ungewöhnliches Begräbnis. Hinter dem Sarg ging der Rabbiner und ein bißchen weiter der Pfarrer. Und Menschen in Massen. Ein ganzer Haufen Polen und Juden. Er hat alle gut behandelt, er war ein ungewöhnlicher Arzt. Und die Frau Doktor ist eine ungewöhnliche Frau.«
    Pawełek nickte. Der Eisenbahner stand auf.
      »Gut«, sagte er, »und nun hau ab, junger Mann. Ich denke mir schon was aus.«
      »Ich bitte Sie sehr, Herr Filipek«, sagte Pawełek mit fester Stimme, aber in seinen Augen stand Angst und Flehen.
      »Nicht für dich, sondern für sie. Sie ist es wert. Im übrigen, wer ist es nicht wert, daß man sich für ihn was ausdenkt?«
    Eine Stunde später rief der Eisenbahner seinen Freund an.
    »Jasio«, sagte er, »ich habe eine dringende Bitte.«
      »Komm zu mir«, rief Jasio fröhlich, »du weißt ja, wo ich wohne.«
      »Das weiß ich«, antwortete der Eisenbahner. »Ich bin schon unterwegs.«
      Und er ging auf die Maria-Konopnicka-Straße in ein modernes Haus, in dem wohlhabende, einflußreiche Deutsche wohnten. An einer Tür mit hübsch graviertem Schild Johann Müller Dipl. Ing. klingelte er. Ein Dienstmädchen öffnete ihm, und als er seinen Namen genannt hatte, sagte sie, Herr Direktor Müller erwarte ihn in seinem Arbeitszimmer.
      So war es. Er war nicht groß, aber breitschultrig, mit weißem Haar und geröteter Haut. Er hieß Johann Müller und war Deutscher aus Lodz, Kämpfer der  PPS ,  Pawiak -Häftling und Verbannter. Er hatte einst auf den Gendarmeriechef von Radom geschossen. Daneben. Er wanderte in die  Katorga . Als er zurückkam, schoß er wieder, diesmal auf einen  Ochrana Agenten. Er und Filipek waren sich schließlich im Gebiet von Krasnojarsk begegnet, wo sie die Taiga rodeten, in den Riesenflüssen Fische fingen, Lieder sangen und auf den großen Völkerkrieg warteten, der Polen die Unabhängigkeit bringen sollte. Sie erlebten diesen Krieg und nahmen an ihm teil.
    Zu Johann Müller sagten alle Freunde und Genossen Jasio und spotteten über seine deutsche Herkunft. »Was bist du für ein Deutscher, Jasio!?« riefen sie. »Ich bin Deutscher dem Leibe und Pole der Seele nach«, antwortete Johann Müller fröhlich. Und so war es tatsächlich. Johann Müllers Vater, Johann Müller senior, war Spinnereimeister in Lodz zu Zeiten, da Lodz wuchs und mächtig wurde. Der alte Müller war ein deutscher Arbeiter, und zu jener Zeit lasen die deutschen Arbeiter Marx und gehörten Ferdinand Lassalles Partei an. Der Vater hatte seinen Sohn im sozialistischen Geist erzogen. Das bedeutete damals in Lodz, daß der junge Müller den Kampf gegen

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