Die schoene Frau Seidenman
Jugend die Karriere des Berufsbanditen gewählt, was in der Epoche der großen Totalitarismen, die ihn bis ins hohe Alter begleiten sollten, zu einem beklagenswerten Anachronismus werden mußte. Die großen Totalitarismen betreiben selber das Banditentum in der Majestät des Rechts, wobei – zur Verwunderung der individuellen Profis – dieses Verfahren Hand in Hand geht mit dem Fehlen jeglicher Alternative, während doch gerade die Alternative einst das philosophische Fundament des Banditentums gewesen ist. Wiktor Suchowiak arbeitete immer nach dem Grundsatz ›Geld oder Leben!‹, was seinen Kontrahenten die Möglichkeit der Wahl ließ. Die Totalitarismen betreiben den Raub der Ehre, der Freiheit, des Eigentums, ja sogar des Lebens, und lassen weder den Opfern noch sogar den Banditen die geringste Wahlmöglichkeit.
Zu der Zeit, von der die Rede ist, tobte in Europa ein jugendlicher, ungewöhnlich räuberischer und aggressiver Totalitarismus, der unbarmherzig ganze Völker mordete und bei dieser Gelegenheit auf beispiellose Weise beraubte. Später sollte die Welt ein wenig ruhiger werden, weil – mindestens in Europa – nicht mehr Krieg herrschte, deshalb betrieben die Totalitarismen ihr Verfahren diskreter und griffen selten nach dem Leben der Menschen, umso häufiger aber nach ihrer Würde und Freiheit, ohne natürlich den Raub des Eigentums und der Gesundheit zu vernachlässigen, vor allem jedoch des Bewußtseins, das die individuellen Berufsbanditen nie interessiert hatte, weil man es nicht zu Geld machen konnte. Wiktor Suchowiak sollte die Zeiten erleben, da die Totalitarismen unter jeder geographischen Breite und sehr verschiedenen ideologischen Parolen, die im übrigen ausschließlich die Rolle eines Kostüms und einer Dekoration spielten, das Banditentum völlig öffentlich betrieben, am hellichten Tag, in Begleitung von Blasorchestern und Deklamationen, denen es manchmal an lyrischen Tönen nicht fehlte.
Wiktor Suchowiak bediente sich gewöhnlich einer Brechstange, und wenn er unter einem glücklichen Stern wirkte, eines Schlagrings. Gewalt wandte er nur unter außerordentlichen Bedingungen an, wenn Widerstand und Ablehnung die Grenzen seiner Geduld überschritten und den Erfolg seines Vorhabens bedrohten. Er konnte mit Panzerdivisionen und Bataillonen, deren Soldaten mit Maschinengewehren ausgerüstet waren, nicht konkurrieren, auch nicht – zu späteren Zeiten – mit solchen Gewaltinstrumenten wie Hochspannungs-Generatoren, Polarkälte, Napalm, Erpressung ganzer sozialer Gruppen, Zwangsarbeit, Apartheid, Telefonabhören, ja sogar gewöhnlichen Schlagstöcken in der Hand von Polizisten, die auf den Straßen wüten, oder geheimnisvollen Entführungen unbequemer Leute, deren Leichen anschließend in Lehmgruben oder Flüssen versenkt werden, oder die Entführung der Passagiere von Linienflugzeugen, die man nacheinander umbringt, um bei Einzelpersonen, Gesellschaften oder Staaten ein Lösegeld oder politische Konzessionen zu erpressen.
Im Grunde war der erste Totalitarismus, dem Wiktor Suchowiak im Augenblick der Entfesselung des Krieges durch Hitler begegnete, zwar der grausamste, blutigste und raubgierigste, aber auch der dümmste und primitivste, weil ihm die spätere Raffinesse fehlte. Doch so ist es gewöhnlich bei jedem Menschenwerk, wir beginnen mit dem Primitiven, um nachfolgend das Kunstvolle, der Vollkommenheit Nahe zu erreichen.
Wie dem auch sei, Wiktor Suchowiak hatte keine Chancen. Die Wahl, die er im Alter von achtzehn Jahren getroffen hatte, als er sein erstes Opfer beraubte, war idiotisch gewesen. Er hätte voraussehen müssen, daß die Zukunft des Banditentums den legalen Faktoren gehörte, darunter auch der Polizei, und in ihre disziplinierten Reihen eintreten. Doch Wiktor Suchowiak tat das nie. Auch später nicht, als er, ein krimineller Häftling in bereits fortgeschrittenem Alter, ermuntert wurde, bei der Errichtung einer besseren Zukunft auf Seiten von Recht und Ordnung teilzunehmen.
Wiktor Suchowiak war bestimmt kein Mann von Ehre. Einsamkeit und Individualismus an sich bilden noch nicht die menschliche Würde, dazu gehört etwas mehr. Doch war er zweifellos ein Mann von Grundsätzen, die sich aus seinem Handwerk ergaben. Die Politik interessierte ihn nicht, und er besaß keine intellektuellen Aspirationen. Seine Moral war einfach, ähnlich wie seine Bildung, sein Geschmack und seine Lebensweise. Er liebte Geld, Frauen, Karussels, Wodka, kleine Kinder und
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