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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Latein konnte, um die antike Geschichte wußte und den Richter für einen Philosophen und Staatsbürger mit wahrhaft römischen Tugenden hielt, wie war sie erfreut darüber, daß der Richter sich in einer diskreten und schönen, antiken und zugleich modernen Angelegenheit an sie wandte und sie inständig bat, für einen Tag oder zwei ein jüdisches Kind aufzunehmen, die kleine Tochter des ihr gut bekannten Rechtsanwalts Jerzy Fichtelbaum. Sie ging sofort darauf ein, handelte es sich doch um eine christliche, polnische und menschliche Tat von hohem Rang, verbunden mit einem gewissen Risiko, das dem Leben einen weihevollen Glanz verlieh. Sie tat das nicht aus Eitelkeit, denn niemand legt aus Eitelkeit seinen Kopf unter das Beil, sondern aus einem Bedürfnis ihres Herzens, das gut, feinfühlig und sensibel für Unrecht war. Nachts fragte sie ihren abwesenden Mann, ob sie richtig gehandelt habe, er antwortete zustimmend und fügte hinzu, die Frau eines polnischen, in deutscher Kriegsgefangenschaft weilenden Offiziers dürfe nicht anders handeln. Nun erschien auf ihrer Schwelle dieses aus dem Abgrund des grausamen Meeres der Gewalt und des Verbrechens an Land gezogene Kind. Es war ein hübsches vierjähriges Mädchen mit krausen Haaren und großen dunklen Augen. Es stand im Licht der Gaslampe und lauschte den letzten Schlägen der Uhr, die die neunte Stunde anzeigte. Gerade wurden in der ganzen Stadt die Haustüren geschlossen, und die Frau blickte, von einem schnellen Gedanken bewegt, unruhig zu dem großen Ankömmling hinüber. Der aber nickte leicht und sagte: »Ja, gnädige Frau, die Zustellung ist erledigt.«
      »Treten Sie ein«, rief Pawełek, »Sie haben da wohl Blut am Mantel!«
      »Der Mantel ist aus Wachstuch«, antwortete der Mann, »das gibt keinen Fleck.«
    Pawełeks Mutter faßte Joasia bei der Hand.
    »Wie zart sie ist«, sagte sie. »Und sicher sehr hungrig.«
      »Das weiß ich nicht«, entgegnete der Mann. »Wenn Sie gestatten, zünde ich mir eine an.«
      Er zog ein schweres Zigarettenetui aus Metall hervor, entnahm ihm eine Zigarette, steckte sie zwischen die Lippen und zündete sie an.
      »O Gott«, sagte Pawełeks Mutter, »es ist schon Polizeistunde…«
      »Mich stört die Polizeistunde nicht«, sagte er. »Aber ich gehe gleich.«
    »Ach nein!« rief sie. »Setzen Sie sich doch.«
      Er setzte sich im Mantel hin, seine Mütze legte er auf die Knie.
      »Wegen Joasia können Sie beruhigt sein«, sagte sie. »Ich kümmere mich um alles.«
    »Das betrifft mich nicht mehr«, sagte der Mann. »Was weiter mit dem Mädchen wird, weiß ich nicht. Ich habe meinen Auftrag erledigt.«
      »Aber natürlich«, antwortete sie mit einem Übermaß an Eifer, das ihr alsbald unangemessen schien. Sie blickte diesem Menschen ins Gesicht und wollte es behalten, empfand dabei aber etwas wie Unbehagen, Angst und Beschämung. Sie sagte sich, sie müsse dieses Gesicht behalten, weil es einem tapferen Menschen gehörte, der manches riskierte, um Verfolgten zu helfen. Gleichzeitig aber empfand sie das Bedürfnis, das Porträt eines Mannes festzuhalten, der in dieses leere Haus gekommen war, wo sie in Einsamkeit und Sehnsucht atmete. Pawełek war ja kein Mann, er würde nie einer sein, sondern immer ihr Kind, ihr großes Kind, das einmal eigene Kinder haben, aber weiter ihr Kind bleiben würde.
      Das Gesicht des Mannes kam ihr bläulich vor, vielleicht wegen der dunklen Bartstoppeln auf den Backen und wegen des Lichts der Gaslampe. Er hob den Kopf, sie blickten sich in die Augen. Ich sollte ihn nicht anschauen, dachte sie erschrocken und wandte sich dem Kind zu.
    »Ich mache dir gleich etwas zu essen, Joasia.«
      Joasia nickte. Pawełek sagte: »Sie ist Henio ein bißchen ähnlich, nicht wahr?«
    »Aber Henio war nicht so hübsch«, entgegnete seine Mutter.
    »Mutter, benutze doch nicht die Vergangenheit!« rief er.
      Sie seufzte traurig. »Er hat doch monatelang kein Lebenszeichen gegeben…«
      »Wenn es sich um den Bruder der Kleinen handelt«, sagte der Mann, »dann ist er nicht auf der anderen Seite der Mauer.«
      »Er versteckt sich irgendwo auf dem Land«, rief Pawełek. »Er ist stark und intelligent. Außerdem…«
    Er brach ab, weil er unruhig war. Schon lange hatte er nicht mehr an Henio gedacht. Henio war im Spätherbst plötzlich verschwunden. Sie hatten sich eines Tages auf der KoszykowaStraße getrennt, vor dem Gebäude der Stadtbücherei. Pawełek hatte Henio etwas Geld

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