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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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mitgebracht. Henio hatte fröhlich gesagt: »Ich habe beschlossen, heute auf die Pauke zu hauen!«
      »Mach keinen Unsinn«, antwortete Pawełek. »Geh zurück zu Flisowski. Es gibt nichts Schlimmeres, als sich ziellos in der Stadt herumzutreiben.«
      »Warum denn ziellos?!« rief Henio Fichtelbaum. »Ich gehe in eine Konditorei, vielleicht lerne ich dort ein schönes Fräulein kennen, das mich mit nach Hause nimmt, ich heirate sie nach dem Kriege, und wir fahren nach Venezuela.«
      »Bitte, Henio«, sagte Pawełek mit einem bißchen Zorn in der Stimme. »Du bist doch ein erwachsener Mensch. Bei Flisowski hast du einigermaßen erträgliche Bedingungen.«
      »Laß mich in Ruhe!« schrie Henio. »Du hast gut reden. Was denn für Bedingungen, zum Teufel?! Ich hocke auf dem Dachboden wie eine Fledermaus, der Alte kommt zweimal täglich und läßt mir Essen da, er ist stocktaub, ich kann kein einziges Wort mit ihm wechseln. Kannst du dir das überhaupt vorstellen, solch ein Eingeschlossensein auf dem Dachboden, das kleine Fenster, durch das man nur ein Stück Himmel sieht, immer dasselbe?! Keinen einzigen Zweig, kein einziges Gesicht. Dort kraspeln bei Nacht die Mäuse, Pawełek. Nur die Mäuse. Und gehen kann ich überhaupt nicht. Drei Schritte nach links, kehrt, drei Schritte nach rechts, kehrt! Aber still, auf den Zehenspitzen, damit mich niemand hört.«
      »Henio!« sagte Pawełek mit Nachdruck wie zu einem kleinen Kind. »Dort bist du sicher. Weißt du, wieviel Mühe es gekostet hat, dieses großartige Versteck zu finden? Ich habe Flisowski ein Loch in den Bauch geredet, damit er dich für einige Zeit aufnimmt. Im übrigen suche ich jetzt…«
    »Ach, red' nicht soviel!« unterbrach ihn Henio ärgerlich, und um seine Lippen spielte der Ausdruck von Ablehnung und Verachtung. »Ich weiß, du tust, was du kannst. Aber du läufst in der Stadt herum, du triffst Menschen, du fährst Straßenbahn oder Rikscha, allein oder mit einem Fräulein, und legst ihr die Hand aufs Knie. Ich hab' das alles satt, zum Teufel!«
      »Ich lege ihr nicht die Hand aufs Knie!« schrie Pawełek, weil Henio eine in seinem Herzen eiternde Wunde berührt hatte. »Und daß du bei Flisowski hockst, ist nicht meine Schuld. Vor einer Woche bist du zum Friseur gelaufen. Warum läufst du zum Friseur? Das ist doch…«
      »Bin ich etwa ein Gorilla«, sagte Henio zornig und grollend. »Soll ich wie ein behaarter Affe aussehen, nur weil du mich auf diesem Dachboden eingesperrt hast?«
    »Ich habe dich eingesperrt? Ich?«
    Henio Fichtelbaum winkte ab.
      »Einverstanden, nicht du! Aber ich muß mir von Zeit zu Zeit Bewegung verschaffen, aufatmen, Leute sehen. Du verstehst das nicht, Pawełek, aber es ist eine Lust, ich sag's dir, eine wahre Lust, die Koszykowa-Straße entlangzuschlendern, ohne Ziel, nur zu schlendern.«
    »Das darfst du nicht tun«, sagte Pawełek hart.
      »Ich weiß! Ich bin gefügig wie ein Lämmchen. So hast du mich noch nie kommandiert, Führer! Ich gehorche. Aber von Zeit zu Zeit, sagen wir zwei- bis dreimal im Monat, muß ich herunter von diesem verdammten Dachboden.«
    »Unter einer Bedingung: nur in meiner Begleitung…«
    »Bist du verrückt?! Ich werde dich nicht gefährden!«
      »Das weiß ich«, antwortete Pawełek. »Aber laß uns festlegen: Wenn du rausgehst, folge ich dir in einiger Entfernung, beobachte…«
      »Sei kein  Lord Lister , Pawełek! Willst du mich verfolgen! Zu welchem Zweck? Du könntest mir ja doch nicht helfen.«
    »Aber ich wüßte, was mit dir ist, wo du bist… Vielleicht kann ich dann doch etwas erreichen.«
    »Wir haben kein Lösegeld mehr, Pawełek.«
      »Moneten kann man immer auftreiben. Und vergiß nicht, nie wieder zum Friseur! Dort kommen allerlei Leute hin, du bist eingeschlossen, unbeweglich mit diesem verdammten Laken um den Hals.«
      »Weißt du, dieser Friseur hat jüdische Witze erzählt. Ich habe gebrüllt vor Lachen.«
      »Anscheinend bist du dir über den Ernst der Situation nicht im klaren!«
      »Wahrscheinlich«, antwortete Henio. »Aber immerhin ist es meine Situation, beachte das bitte.«
      Pawełek wollte es nicht zu einer neuen Spannung kommen lassen, folglich lächelte er gezwungen. »Gut, Henio. Ich bitte dich, geh jetzt zurück zu Flisowski. Übermorgen komme ich dorthin. Dann besprechen wir die Einzelheiten deiner Ausflüge.«
      Sie gaben sich die Hand. Pawełek betrat die Bibliothek, Henio ging auf die Marszałkowska-Straße

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