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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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zu. Dort hatte Pawełek ihn zum letzten Mal gesehen. Denn als er am vereinbarten Tage zu dem alten Flisowski kam, stellte sich heraus, daß Henio Fichtelbaum gar nicht auf den Dachboden zurückgekehrt war. Dem alten Uhrmacher Flisowski paßte diese Wendung der Dinge gut in den Kram.
      »Herr Kryński«, sagte er zu Pawełek, »sagen Sie Ihrem Freund, er soll sich hier nicht mehr blicken lassen. Ich habe genug eigene Sorgen und möchte das Kriegsende erleben, wie immer es sein mag.«
      »Herr Flisowski«, rief Pawełek, »das geht nicht! Wir hatten verabredet…«
    »Reden Sie nur, reden Sie!« unterbrach ihn der alte Uhrmacher. »Ich hab's gesagt, basta! Wenn Sie einen älteren Menschen haben, einen ruhigen älteren Menschen, der still dort oben hockt, keinen  Tango-Milongo  pfeift, nicht zehnmal täglich auf meine Zimmerdecke klopft, damit ich ihn zum Klo rauslasse, mir nicht ins Ohr brüllt, die Aussicht von seinem Fenster sei häßlich, wenn Sie einen gesetzten, älteren Herrn haben, kann ich ihn sogar für länger nehmen. Aber Ihren Freund da nie wieder, so wahr Gott im Himmel ist!«
      Von diesem Spätherbsttag an blieb Henio Fichtelbaum verschwunden, und Pawełek ging nur mit der Erinnerung an ihn, mit dem Schatten seines Freundes um. Er glaubte, Henio sei getötet worden, obgleich er im geheimsten Kämmerlein seines Herzens die Hoffnung hegte, Henio halte sich irgendwo sicher versteckt und denke an seinen Freund Pawełek. Doch die Hoffnung wurde im Lauf des Winters immer schwächer und schmolz im Frühling vollends dahin. Als jetzt seine Mutter behauptete, Henio sei nicht so hübsch gewesen wie seine kleine Schwester, protestierte Pawełek. Henio ist irgendwo, dachte er, Henio lebt. Auf diese Weise verscheuchte er die Dämonen.
      Ein paar Tage später klingelt in diesem Zimmer das Telefon. Pawełek nimmt den Hörer ab, während sein Blick auf dem goldenen Zifferblatt der Uhr ruht, und denkt: Gerade sieben Uhr früh, ein schöner Apriltag beginnt.
    »Hallo!« sagt er und mustert die schwarzen Uhrzeiger.
    »Ich bin's«, vernimmt er eine leise, ferne Stimme.
    »Henio! Um Gottes willen! Wie geht's dir?«
      Tränen laufen über Pawełeks Gesicht, als wäre er kein neunzehnjähriger Mann, sondern ein kleiner Junge im Samtanzug und mit Spitzenkragen unter dem Kinn.
    »Ich möchte dich sehen«, vernimmt er die ferne Stimme.
      »Selbstverständlich, Henio! Hör zu, das ist wichtig. Joasia ist gesund, alles in Ordnung, sie läßt dich grüßen.«
    Eine lange Weile hört er das monotone Rauschen der Leitungen. Er ruft unruhig: »Henio! Hörst du mich?«
    »Ja. Ich grüße sie auch. Ich möchte dich sehen.«
    »Wo bist du?«
    »In der Stadt.«
      Wieder trennt sie eine lange Stille, dann sagt Henio: »Ich kehre dorthin zurück!«
    »Wo bist du jetzt? Wir müssen uns sehen.«
      »Ja. Um neun an der Ecke Książęca-Straße und Plac Trzech Krzyży, gut?«
    »Um neun? Sehr gut. Also, Henio…«
      In diesem Moment hört Pawełek ein Knacken, die Verbindung ist unterbrochen. Er ruft noch ungeduldig: »Henio, hörst du mich?! Henio!« erhält aber keine Antwort mehr.
      Das aber wird erst ein paar Tage später erfolgen. Das Telefon wird klingeln, sieben auf der Uhr, draußen vor dem Fenster heller Morgen. Das steht noch in den Sternen. Genauso stand in den Sternen, daß Pawełek jetzt zu dem Mann im Wachstuchmantel sagte: »Ruhen Sie sich aus, wir machen etwas zu essen.«
      »Nicht nötig«, entgegnete jener. »Gebt dem Kind was. Ich bin nicht hungrig. Ich gehe gleich.«
      »Es ist gefährlich«, sagte die Mutter. »Die schießen ohne Warnung.«
      »Glauben Sie das nicht, gnädige Frau. Da könnten sie ja ihre eigenen Leute totschießen. Die kontrollieren immer die Papiere.«
    »Haben Sie denn einen Passierschein?« fragte sie.
    »Ich habe alles Nötige«, antwortete er und lachte auf. Noch nie hatte sie ein solches Lachen gehört. Grausamkeit und Drohung schwangen darin mit. Wieder blickte sie dem Mann in die Augen und glaubte, seine Gedanken lesen zu können. Sie spürte, wie ihre Backen warm wurden, jetzt fürchtete sie sich vor beiden, vor dem Mann und vor Pawełek. Sie fürchtete, Pawełek könne ihren seltsamen Zustand bemerken, diese besondere Erregung und die Angst. Doch Pawełek nahm das Kind bei der Hand und sagte: »Joasia und ich gehen in die Küche, wir machen uns etwas Herrliches zu essen…«
      »Ach, warum«, sagte die Frau sinnlos und setzte sich plötzlich dem

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