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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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hochgewachsenen Fremden gegenüber an den Tisch. Sie hatte keine Kraft, vor seinem Blick zu fliehen. Er streckte ihr die Hand mit dem Zigarettenetui entgegen.
    »Rauchen Sie?«
      Sie verneinte mit einer Kopfbewegung. Jetzt schaute er sich im Zimmer um. Er betrachtete die Kredenz, die Konsole, das Porzellan hinter der Scheibe, die Fotografien in den Rähmchen und dann die dunkelroten Portieren an den Fenstern, die Sesselbezüge, die Samtdecke auf dem Tisch. Seine Augen waren leer und ohne Neugierde, doch sie dachte, während er die Schmuckkacheln am Ofen und den Stuck an der Decke betrachtete, als ob er mich auszieht, als ob sein Blick über meine Brüste, meinen Bauch, meine nackten Schultern gleitet. Was geht mit dir vor, Elżbieta, dachte sie, er ist ein Ungeheuer, ein brutales, gewalttätiges Ungeheuer! Und sie irrte sich nicht. Er war brutal und gewalttätig, manche hielten ihn für ein Ungeheuer. Aber gerade solch einen wollte sie, auf solch einen wartete sie, über sich selbst entrüstet und entsetzt. Sie schwiegen. Selbst wenn er für lange Lebensjahre bei ihr geblieben wäre, hätten sie einander nichts zu sagen gehabt. Sie wären ein Mann und eine Frau gewesen, ein Mann und eine Frau in jedem Augenblick – und sonst nichts! Aber er blieb nicht. Er hatte seine dunklen Aufträge zu erledigen, ganz am Rand der Welt, wo es keine Menschen mehr gab, sondern nur noch Bestien und Geister. Er drückte die Zigarette aus, erhob sich groß und mächtig, mit dem Blutfleck am Wachstuchmantel.
    »Ich gehe jetzt«, sagte er und verzog die Lippen zu einem Lächeln. »Grüßen Sie das Kind, gnädige Frau. Und Ihren Sohn bitte auch.«
    »Möchten Sie vielleicht…«, setzte sie an.
      Er schüttelte den Kopf. »Zu wenig Zeit, gnädige Frau. Immer zu wenig Zeit!«
      Er setzte die Mütze auf und zog den Schirm tief in die Stirn. Sein Gesicht veränderte sich dabei, er sah nun sanfter aus, als milderte der Schatten des Schirms seine Übeltaten.
      Sie brachte ihn zur Tür. An der Schwelle sagte sie: »Es gibt kein Licht im Treppenhaus.«
    »Ich komme schon zurecht«, entgegnete er.
      Sie reichte ihm die Hand. Er hob sie zum Mund und küßte sie. Als sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte, lehnte sie sich an den Rahmen und atmete schnell und heftig. Sie spürte auf dem Handrücken die Feuchtigkeit seiner Lippen, und das ließ sie erbeben. Sie hörte, wie sich seine Schritte auf der Treppe entfernten. Ich hasse ihn, dachte sie. Ein Ungeheuer. Ich bin gedemütigt.
    Noch dreißig Jahre später, als alte Frau, hatte sie ihren Haß nicht abgelegt. An das Gesicht des Mannes erinnerte sie sich nicht mehr, wohl aber an sich selbst. Noch nach dreißig Jahren empfand sie die Demütigung. Sooft sie später derart wuchtigen Männern mit schlichten Manieren und einem selbstsicheren Benehmen begegnete, das aus physischer Stärke, Einflußreichtum, Witz oder ganz banaler Dummheit resultierte, sooft sie später Plebejern begegnete, die eine gleichgültige Überlegenheit an den Tag legten oder denen gegenüber sie sich unsicher fühlte infolge ihrer Zartheit, Weiblichkeit, Schwäche oder dank der Geschichte, die sie von der Straße in den Graben geschubst hatte, während jene in der Mitte entlanggingen in ihren Wachstuch-, Leder-, Nylonmänteln, mit Schirmmützen, Hüten oder ohne Kopfbedeckung, wenn sie ihre irgendwie knorrigen, ungehobelten Gesichter sah, wenn sie bemerkte, wie sie beim Rauchen die Zigaretten zwischen Daumen und Zeigefinger hielten, die brennende Spitze nach innen, sooft sie ihre unter dem Gewicht der großen Körper wankenden Schritte vernahm oder den durchdringenden, scharfen Geruch ihrer Haut roch, diesen Geruch von Schweiß, Tabak und Unrecht, immer erinnerte sie sich an den Abend, als sie die Tochter des Rechtsanwalts Fichtelbaum unter ihr Dach aufnahm. Und dann empfand sie Demütigung. Sie verstand nicht, warum ausgerechnet Demütigung. Die Aufnahme eines jüdischen Kindes unter sein eigenes Dach war doch damals, im Frühling des Jahres 1943, eine schöne und anerkennenswerte Tat. Warum also empfand sie Demütigung? Was war an jenem Abend geschehen, daß er noch nach vielen Jahren so bitter und widerwärtig in ihr emportauchte?
      Sie saß am Tisch, betrachtete die Uhrzeiger, horchte, was Pawełek in der Küche zu dem Kind sagte, und versuchte, an ihren abwesenden Mann zu denken, der seit über drei Jahren in deutscher Gefangenschaft saß, unter Hunderten von ähnlichen Offizieren, die ihre Frauen einst

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