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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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verlassen hatten, um dieses Land zu verteidigen, ein nicht zu verteidigendes, der Erniedrigung, dem Verbrechen und der Vernichtung anheimgegebenes Land. Warum, dachte sie, um welcher Schuld willen?
      Sie legte die Hand auf die Brust. Unter dem Kleid fühlte sie die wohlbekannte Form, die ihr stets fremd und unerfreulich erschienen war und eigentlich nicht ihr, sondern dem Mann gehörte. Sie war verwaist. Sie fühlte sich wie tot. Warum bin ich tot, dachte sie, ich habe doch nichts Böses getan?
      Dieser Gedanke ernüchterte ihre religiöse Seele ein wenig. Mach dich nicht lächerlich, Elżbieta, sagte sie zu sich, der Tod ist keine Strafe für die Sünden, sondern eine Belohnung, der Übergang ins ewige Leben. Mach dich nicht lächerlich!
    Das verschaffte ihr Erleichterung. Sie wollte sich nicht für lächerlich halten. Eher war sie traurig und enttäuscht. Sie saß dort noch eine Weile und betrachtete die Uhr. Es ging ihr durch den Kopf, dieser Mann könne auf der Straße den Deutschen in die Hände laufen und verraten, wohin er das jüdische Kind gebracht hatte. Wieder packte sie die Angst, doch das dauerte nur einen Augenblick, weil sie wußte, dieser Mann würde den Deutschen nicht in die Hände laufen, solche wie er liefen den Deutschen nicht in die Hände, und wenn, dann würde er jedenfalls kein Wort sagen. Sie vertraute ihm, haßte ihn und war gedemütigt.
    Dann stand sie auf, ging in die Küche und fand erstaunlicherweise ihre Freude und Ruhe wieder. Zärtlich zog sie das kleine jüdische Kind aus und badete es, während sie dazu heitere Melodien aus ihrer Jugend summte.

14
    D er Rechtsanwalt Fichtelbaum vernahm Lärm auf dem Hof und begriff, daß der erwartete Zeitpunkt gekommen war. Es wunderte ihn, daß er weder Angst noch Bedrückung empfand. Sein Seelenzustand war ganz anders, als er sich das im Lauf der vergangenen Monate vorgestellt hatte. Sobald er die Augen schloß und auf jenen Moment hinlauschte, der unweigerlich kommen mußte, hatte er das äußerst unangenehme Gefühl eines Falles in die Tiefe, in Dunkelheit und unbeschreibliche Kälte gehabt. Als versänke er in ein unendliches Weltall, von dem er als gebildeter und belesener Mensch wußte, daß ihm jedes Licht und jede Wärme fehlt. Ein eisiger Stollen ohne Ende, und darin, immer schneller und schneller hinabfallend zur Unendlichkeit der Rechtsanwalt Jerzy Fichtelbaum, der ganz einsam dahingleitet wie ein flügelloser Vogel oder ein Insekt, nur durch die Schwerkraft, immer weiter und immer schneller, bis ihm der Atem vergeht in der unablässig dichter werdenden Dunkelheit, Kälte und Leere. Das war ein sehr unangenehmes Gefühl, und er wünschte, es möge nicht lange dauern, doch dauerte es jeden Tag länger, um schließlich zur entsetzlichen Qual zu werden, die den Rechtsanwalt nicht einmal im Schlaf verließ.
    Aber nun stellte sich heraus, daß er, während unten der Lärm ertönte, der ohne Zweifel das Heraufdringen jenes dunklen Weltalls zum zweiten Stock des Mietshauses, zu dem leeren Zimmer und dem wartenden Rechtsanwalt Fichtelbaum verkündete, alles sehr natürlich und ruhig aufnahm. Er empfand keine Qual, ihm geschah etwas Seltsames, das zweifellos von außen kommen mußte, nicht aus ihm selbst, sondern eher gerade aus diesem Lärm, der langsam die Treppen hinaufdrang, das Weltall, das die Türen der verlassenen Wohnungen laut öffnete und schloß, die Stühle und Schränke umwarf, die Tische wegschob. Der Rechtsanwalt lauschte aufmerksam und fand darin einen Rhythmus, das Ticken einer riesengroßen Uhr, die seine eigene Zeit abmaß wie nie zuvor eine andere Uhr.
      Man muß die Tür schließen, dachte der Rechtsanwalt Fichtelbaum, erinnerte sich aber sogleich, daß das Schloß kaputt war, der Schlüssel verloren, der Riegel abgerissen. Die Tür zum Treppenhaus war angelehnt, der Rechtsanwalt stand mitten im Zimmer und sah den Streifen Licht, der durch den Spalt auf den Fußboden fiel, und genau durch diesen Spalt drang das Echo des schwerfälligen Weltalls herein.
      Nun gut, dachte der Rechtsanwalt, dann werde ich zuerst die Stiefel sehen.
      Er beschloß, sich zu setzen. Er nahm den an der Wand stehenden Holzstuhl, stellte ihn in die Nähe der leicht geöffneten Tür und setzte sich. Der Stuhl knarrte, und der Rechtsanwalt erschrak. Doch beruhigte er sich schnell wieder. Ich muß mich nicht mehr fürchten, dachte er, das habe ich schon hinter mir.
      Er saß reglos, weil er trotzdem nicht wollte, daß der Stuhl

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