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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Zeitpunkt begann die nationalsozialistische Bewegung, ihre politischen Gegner und auch die Juden im Reich gewaltsam zu verfolgen. Stuckler war nicht als gewissenloser Mörder geboren, weil nie und nirgends gewissenlose Mörder geboren werden. Und nie hat jemand seine verbrecherische Tätigkeit begonnen mit dem Anzünden der Welt und mit Massenmorden. Stuckler machte mit, als den jüdischen Geschäften die Scheiben eingeschlagen wurden, was zwar keine angemessene Beschäftigung war und ziemlich töricht aussah, auch in seinen Augen, letzten Endes den Juden aber kein großes Unrecht zufügte. Sie waren begütert und einflußreich genug, um sich neue Scheiben einsetzen zu lassen. Eine Lektion tat ihnen sicher gut, sie brachte ihnen Demut und Höflichkeit bei. Man hatte ihnen ihren entsprechenden Platz gezeigt! Später schlug Stuckler ein paar Juden. Einer von ihnen hatte mit einem deutschen Mädchen geschlafen, die auch eine Lektion erhielt, denn sie war zwar das Dienstmädchen dieses Juden, mußte aber wissen, daß sie gegen das Gesetz gehandelt und die deutsche Rasse in Gefahr gebracht hatte. Die deutsche Rasse war besser als andere, das unterlag für Stuckler keinem Zweifel, so wie es für viele Engländer keinem Zweifel unterlag, daß sie das vortrefflichste Volk der Erde seien, wie es für viele Juden, die dem Bund die Treue hielten, keinem Zweifel unterlag, daß sie das von Gott auserwählte Volk seien, wie es für viele Polen keinem Zweifel unterlag, daß sie sich unter dem besonderen Schutz der Muttergottes befänden, während die Deutschen böse Ordensritter seien, die Russen Sklavenseelen, die Franzosen Froschfresser, die Italiener Mandolinenspieler, die Engländer Krämer und die Tschechen feige Pepis. In dieser Hinsicht unterschied sich Stuckler nicht von anderen Menschen unter der Sonne, nur daß er vielleicht ziemlich früh Uniform anzog, die Stärke der Gemeinschaft empfand und die Wirkung der Peitsche bemerkte. Die Menschen sind von Natur aus schwach, darum gefällt ihnen die Macht, und Stuckler war ein Dutzendmensch wie die Mehrheit.
    Er tötete einen Menschen, nachdem er schon viele geschlagen, getreten und verletzt hatte. Man darf annehmen, daß der erste Totschlag nicht mit vollem Bewußtsein geschah, sondern eher zufällig. Stuckler schlug zu heftig, die ärztliche Hilfe kam zu spät. Es war ein unangenehmer Vorfall, und es ist nicht auszuschließen, daß Stuckler sich an dieses Geschehnis nur ungern erinnerte, ja daß er versuchte, es aus seinem Gedächtnis zu streichen. Dennoch ereigneten sich ähnliche Geschehnisse immer häufiger, zudem brach der Krieg aus, und im Krieg schlagen die einen die anderen tot, weil sie selber totgeschlagen werden, wenn sie das nicht tun. Eines Tages stellte Stuckler fest, daß er viele Menschen totgeschlagen hatte, konnte aber ohne die Gefahr eines Irrtums wiederholen, so sei es immer. Und er hatte recht, so war es in der Tat immer.
      Stuckler gab dem Pferd die Peitsche. Sie ritten wieder in gestrecktem Trab im Schatten der ausladenden Bäume, rund um den glatten Teich, unter den Geräuschen der Natur. Stuckler fühlte sich müde und nicht allzu glücklich, das Leben hatte ihm in den letzten Monaten weder Freude noch Befriedigung verschafft, und der Gedanke an eine mögliche Niederlage im Krieg wirkte bedrückend. Doch fürchtete er sich nicht vor der Zukunft, weil er von Natur aus ein tapferer Mensch war, dazu nicht besonders intelligent und sensibel; er wußte, daß er wie jeder Mensch, der ja ein sterbliches Wesen ist, sterben mußte, stellte sich den Augenblick des Todes aber nicht vor, so daß dieser ihn nicht schreckte; Gott fürchtete er auch nicht, weil er seine Sünden für alltäglich hielt, solche Sünden beging im Krieg jeder, und der Krieg war nicht Stucklers Werk. Hätte es von ihm abgehangen, so hätte er daran gar nicht teilgenommen. Es befriedigte ihn nicht, den Juden nachzuspüren und diese wütende Stadt unter der Fuchtel zu halten. Der Krieg hatte Stuckler den Lebenskomfort genommen, an den er gewöhnt war, seit die Bewegung im Dritten Reich die Macht besaß, Europa auf die Deutschen Rücksicht nahm, ihnen Achtung erwies und sich bemühte, ihre Forderungen zu befriedigen. Ohne den Krieg hatte Stuckler besser gelebt und war hinsichtlich der Zukunft ruhiger gewesen. Doch war das nun passiert. Er glaubte, seine Schuldigkeit als Deutscher, Reichsbürger, Parteimitglied und Polizeioffizier bis zum Ende erfüllen zu müssen. Das war seine Pflicht,

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