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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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philosophischen Sinn. Er stammte aus einer Müllersfamilie, die sich vor hundert Jahren nicht weit von Saalfeld in Thüringen angesiedelt hatte. Zu Anfang der zwanziger Jahre war er selbst noch ein junger Müller gewesen. Dann hatte er einen anderen Weg gewählt. Er war in die Geschichte verliebt gewesen. Das antike Rom, die Völkerwanderung, das Deutsche Reich. Er liebte die vergangenen Zeiten. Dort fand er die Männlichkeit und Entschlossenheit des menschlichen Wesens. Seine Nächsten dagegen waren Weichlinge. In der Formation der SS entdeckte er römische Züge. Stucklers Geist war nicht originell. Die Bolschewiken nannte er Hunnen. Attilas Horden! Das klang ein bißchen nach Wagner. Er liebte pathetische, strenge Gedanken. Er liebte Eichen, hochgewachsene Pferde, Felsen, steile, in Wolken wie in den Rauch unsichtbarer Feuersbrünste gehüllte Gipfel. Er war der allergewöhnlichste SS-Mann unter der Sonne, ohne intellektuelle Ansprüche und Gewissensbisse. Er gehörte zur Mehrheit. Später erwiesen sich seine hamletisierenden Kameraden als die Mehrheit. Doch war das eine Fälschung. Hätte Stuckler jene Zeiten erlebt, so hätte er sie für närrisch gehalten. Er hatte nur einen SS-Kameraden gekannt, der ernstliche Zweifel hegte und sich der moralischen Unruhe ergab; Otto Staubert war im Herbst 1941 an der Ostfront gefallen. Stuckler, ein ausgeglichener Mensch, liebte ein starkes Deutschland, verachtete Juden und Slawen und führte auf seine Weise Krieg, um die Siegeschancen zu steigern. Vor allem aber führte er die Befehle seiner Vorgesetzten aus. Sie übernahmen die Verantwortung. So war es immer. Übrigens erlag manch einer wie Stuckler dem Konformismus. Schließlich lebte er im 20. Jahrhundert und war sich dessen bewußt. Nicht er allein empfand Feindseligkeit den Juden, Abneigung den Polen, Verachtung den Russen gegenüber. Man brauchte kein deutscher Faschist zu sein, um ähnlich zu denken. Stuckler hatte in seiner Jugend das unangenehme Gefühl der Umzingelung durch eine unfreundliche, fremde Welt erlebt. Er hatte Demütigungen erfahren, man schätzte ihn gering als Menschen ohne Erziehung, mit groben Manieren und primitivem Verhalten. Dank seiner Hartnäckigkeit und infolge günstiger Umstände hatte er sich emporgearbeitet. Er war Autodidakt, die Liebe zur Geschichte Roms und des Deutschen Reiches hatte er in der Einsamkeit gepflegt, Vergnügungen sich oft versagt, um historische Bücher zu lesen oder sie gar zu kaufen. Die Leute schätzten seine Bemühungen nicht richtig ein. Immer galt er als Simpel, überall fanden sich Bessere als er. Die Welt war Stuckler nicht geneigt. Anderen gab sie mehr und zu niedrigerem Preis. Adolf Hitler behauptete, daran seien die Juden, die Kommunisten und die Demokratie schuld. Als Stuckler in die Partei und die SS eintrat, war es mit seinen unangenehmen, schmerzhaften Erniedrigungen vorbei. Niemand hielt ihn mehr für primitiv, man begann sogar, seine intellektuellen Ansprüche zu schätzen. Stuckler war nicht dumm, deshalb kam er allmählich zu dem Schluß, er verdanke seine neue Stellung der NSDAP und die stärkste Stütze sei für ihn die Hierarchie der Bewegung Hitlers. In dieser Hinsicht zeigte er sich scharfsinniger als viele Zeitgenossen. Er hielt sich in Uniform nicht für klüger als ohne Uniform und erinnerte sich genau, daß er als junger Müllergeselle die römischen Geschichten mit Herzklopfen gelesen und in jener Zeit die Zuneigung für die Geschichte gefaßt hatte. Seine geistige Entwicklung begann nicht mit dem Eintritt in die Bewegung, im Gegenteil, dort fehlte ihm die Zeit für Selbstbildung und Nachdenken über das Leben. Manchmal dachte er, er sei ein Opportunist, der im Rahmen der neuen Wirklichkeit Karriere macht. Die neue Wirklichkeit war indessen nicht schlechter als die frühere, die Leute hatten einfach die Rollen getauscht, wer einst auf dem Wagen saß, befand sich nun unter den Rädern, andere waren eingestiegen und hatten die Zügel ergriffen. Als junger Mann hatte der arme Stuckler in seiner elterlichen Mühle gearbeitet, und begüterte jüdische Großhändler hatten ihn ausgenutzt. Später wohnte er schön und bequem, und die Juden fegten die Straßen. In gewissem Sinn war das gerecht, es entsprach dem Zeitgeist und auch den menschlichen Ansprüchen überhaupt, denn die Menschen streben nach Veränderungen, Umgestaltungen und neuen Ordnungen. Die Welt ist lebendig und formt sich unaufhörlich um. So war es immer.
    Zu einem bestimmten

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