Die schoene Helena
verstummt, der Glanz in den dunklen Augen erloschen, die Lachfältchen hatten sich geglättet. Normalerweise bekundete sein Gesicht eine unerschütterliche Lebensfreude. Jetzt zeigte es einen ernsten, traurigen Ausdruck, und Helena bereute, dass sie seine Stimmung getrübt hatte.
Erst jetzt erkannte sie, wie amüsant all die Stunden in seiner Gesellschaft gewesen waren. „Tut mir leid ... Nun verstehe ich, warum Sie die Inder und die Eingeborenen erfunden haben.“ Endlich lächelte er wieder. „Wie ich in Amerika von Indianern gefangen gehalten wurde, habe ich noch gar nicht geschildert.“ „Sehr gut! Heben wir uns diese Geschichte für Mrs Gerrets nächsten Besuch auf. Sie soll den Dorfbewohnern nicht zu viel auf einmal erzählen.“
„Nächstes Mal werden wir den Pastor und seine Gemahlin bei unserer Hochzeit Wiedersehen.“
Helena suchte vergeblich nach Worten. Viel zu dicht stand er vor ihr und betrachtete ihre Lippen, die sich plötzlich trocken anfühlten. So trocken, dass sie mit ihrer Zunge darüberfuhr. Ein schwerer Fehler - das wurde ihr sofort bewusst.
Was sich veränderte, wusste sie nicht genau. Irgendetwas in seinen Augen vertiefte sich. Diesen Blick kannte sie. Oft genug hatte sie heiße Begierde in den Mienen ihrer Verehrer gelesen, ebenso häufig wie Respekt und Bewunderung auf den Partys und Bällen ihrer Mutter. Nichts dergleichen hatte sie jemals beeindruckt.
Und jetzt schienen sonderbare Emotionen in ihrem Innern zu vibrieren, zu summen. Ein himmlisches Gefühl, als würden silberne Fäden aus reinem Entzücken ihren ganzen Körper durchweben und unsichtbare Finger daran zupfen. Vielleicht gehörten sie einem Engel, der Harfe spielte. Ihr schwindelte, und ihre Lider wurden schwer.
„In knapp zwei Wochen heiraten wir“, fügte Adam mit belegter Stimme hinzu, den Blick unverwandt auf ihren Mund gerichtet. Obwohl er sich nicht bewegte, schien er noch näher zu rücken. „Lange dauert es nicht mehr.“
„Nein. Bald ist es so weit.“
Ihr Gehirn verachtete diese alberne Konversation. Aber sie blieb reglos stehen und wagte kaum zu atmen, vor lauter Angst, den Bann zu brechen.
Jetzt neigte sich Adam zu ihr herab. Er würde sie küssen, dagegen konnte sie nichts tun. Wie festgewurzelt wartete sie auf die Berührung seines Mundes.
Zunächst bewegten sich seine Lippen nur ganz leicht über ihren, forderten sie sanft heraus, bis sie antworteten. Das wollte sie nicht. Doch die Wärme des zärtlichen Kusses schien Flammen zu entzünden, überall in ihrem Körper. Schüchtern neigte sie den Kopf zur Seite, fürchtete das Feuer - und was Adam als Nächstes tun würde, wenn allein schon diese behutsame Liebkosung so intensive Gefühle in ihr zu wecken vermochte.
Wie sie bald herausfand, war diese Angst begründet. Er umschlang sie mit beiden Armen und presste sie an seine Brust, küsste sie immer leidenschaftlicher und forderte einen Teil ihres Wesens heraus, den sie bisher nicht gekannt hatte. Verführerisch glitt seine Zunge über ihre Lippen und zwang sie, sich zu öffnen. Das schockierte Helena. Trotzdem ließ sie ihn gewähren und erlaubte ihm, ihren Mund zu kosten.
Von heißen Wellen durchströmt, klammerte sie sich an seine Schultern. In ihrem Blut schienen Flammen zu lodern, die ihr den Atem nahmen.
Als er den Kuss beendete, richtete er sich ein wenig auf, gerade genug, um ihr in die Augen zu schauen. Seine wirkten bodenlos, pechschwarz und unergründlich. Nach kurzem Zögern
ließ er sie los, und Helena glaubte, einen schmerzlichen Verlust zu erleiden. Völlig verwirrt, konnte sie keinen klaren Gedanken fassen.
Und dann trat er abrupt zurück. Suchte er plötzlich kühle Distanz? Mühsam rang sie nach Luft und unterdrückte das Stöhnen, das in ihrer Kehle aufstieg.
„Es ist spät geworden“, bemerkte er. „Sicher sind Sie müde.“
„Ja ... es ist spät. Und da ich eine Frühaufsteherin bin, sollte ich ins ... Bett gehen.“ Diese Worte auszusprechen, fiel ihr seltsam schwer. Hatte der Kuss ihr Empfinden für alle Dinge gesteigert, die irgendwie mit Erotik zusammenhingen?
Mit Adam verheiratet zu sein - das fand sie längst nicht mehr so schlimm wie am Anfang.
Dieser Kuss ...
„Also, dann ... gute Nacht.“
Ihre Wangen brannten. Schickte er sie einfach weg? „Gute Nacht, Mr Mannion.“
„Nicht mehr ,Adam‘?“, verwundert hob er die Brauen. „Vor Kurzem sprachen Sie mich mit meinem Vornamen an, und das klang sehr nett. Irgendwie gewann ich den Eindruck, wir
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