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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Vielheiten.« Der Professor hatte von dem Buch aufgesehen und bemerkt: »Perfekte kubanische Logik«, gewartet, bis das Gelächter verebbt war, und sich dann wieder dem Gedicht zugewandt.
    Wenn die Kubaner also Amerika ablehnten, die Amerikaner jedoch mochten, erforderte das keineswegs größere mentale Verrenkungen, als ich an nahezu jedem Tag meines Lebens gesehen und gehört hatte. Wie auch immer, nun erklang ein Rumpeln, eine Klingel schrillte laut, und unser Gepäck erschien auf dem Laufband. Wir hatten nicht viel, eine kleine Tasche pro Mann – ein Paar Socken zum Wechseln und ein Dutzend Bibeln –, und so schulterten wir die Taschen nach draußen, vorbei an einer Zollbeamtin, die wesentlich interessierter an einem Gespräch mit dem Wachmann neben ihr war als daran, uns beim Schmuggeln von Waffen oder Aktien zu erwischen. Sie gönnte den Taschen kaum mehr als einen flüchtigen Blick und winkte uns durch, ohne ihren Schnellfeuer-Monolog auch nur eine Silbe lang zu unterbrechen. Und dann waren wir frei, spazierten unglaublicherweise durch die Tür in den Sonnenschein. Chutsky pfiff ein Taxi heran, einen grauen Mercedes, und ein Mann in grauer Livree samt passender Mütze stieg aus und ergriff unser Gepäck. Chutsky sagte »Hotel Nacional« zum Fahrer, der warf unsere Taschen in den Kofferraum, und wir stiegen ein.
    Die Schnellstraße nach Havanna war voller Schlaglöcher und beinah vollkommen verlassen. Wir sahen nur einige andere Taxis, gelegentlich Motorräder und ein paar Armeelaster, die langsam dahinfuhren, das war alles – auf dem gesamten Weg in die Stadt. Dort explodierten die Straßen plötzlich zum Leben: Oldtimer, Fahrräder, Menschenmengen und sehr seltsam aussehende Busse, die von Dieselzugmaschinen gezogen wurden. Sie waren doppelt so lang wie ihre amerikanischen Pendants und ähnelten mit den wie Flügel nach oben weisenden und zur Mitte abfallenden Enden und dem flachen Dach dem Buchstaben M. In allen drängten sich so viele Menschen, dass es unmöglich schien, noch zuzusteigen, doch während ich zusah, hielt einer von ihnen an, und ein weiteres Knäuel Menschen stieg tatsächlich noch ein.
    »Kamele«, bemerkte Chutsky. Ich sah ihn neugierig an.
    »Wie bitte?«, fragte ich.
    Er wies mit dem Kopf auf einen der seltsamen Busse. »Sie werden Kamele genannt. Sie behaupten, wegen der Form, aber ich schätze, es hängt mit dem Geruch während der Stoßzeit zusammen.« Er schüttelte den Kopf. »Vierhundert Leute auf dem Heimweg von der Arbeit, keine Klimaanlage, und die Fenster lassen sich nicht öffnen. Unglaublich.«
    Es war ein faszinierendes Informationshäppchen, oder zumindest hielt Chutsky es dafür, denn er hatte danach nichts Tiefschürfendes mehr anzubieten, wenngleich wir durch eine Stadt fuhren, in der ich noch nie gewesen war. Doch sein Impuls, als Reiseleiter zu fungieren, war augenscheinlich erloschen. Wir glitten durch den Verkehr und auf einen breiten Boulevard, der am Wasser entlangführte. Hoch oben auf einer Klippe auf der anderen Seite des Hafens erblickte ich einen alten Leuchtturm und ein paar Wehrgänge, dahinter stieg schwarzer Rauch gen Himmel. Zwischen uns und dem Wasser befand sich eine breite Promenade samt Ufermauer. Wellen brachen sich an der Mauer, Gischt sprühte auf, doch niemanden schien es zu stören, wenn er ein wenig nass wurde. Auf der Ufermauer saßen, standen, spazierten, angelten, lagen und küssten sich Menschen jeglichen Alters. Wir passierten eine seltsam verzerrte Skulptur, holperten über rauhes Pflaster und bogen nach links in Richtung eines kleinen Hügels ab. Und dort stand es, das Hotel Nacional, komplett mit der Fassade, die bald das feixende Gesicht von Dexter zieren würde, wenn es uns nicht gelang, Weiss vorher zu finden.
    Der Fahrer hielt vor einer großartigen Marmortreppe. Ein Pförtner, gekleidet wie ein italienischer Admiral, stieg herab und klatschte in die Hände, worauf ein livrierter Page herbeirannte und sich unseres Gepäcks bemächtigte.
    »Da wären wir«, rief Chutsky unnötigerweise. Der Admiral öffnete den Schlag, und Chutsky kletterte heraus. Mir war gestattet, meine Tür selbst zu öffnen, da ich auf der Seite ohne Marmortreppe saß. Ich tat es und entstieg in einen Wald hilfsbereit lächelnder Mienen. Chutsky entlohnte den Fahrer, und wir folgten dem Pagen die Treppe hinauf ins Hotel.
    Die Lobby sah aus, als hätte man sie aus demselben Marmor wie die Treppe geschnitzt. Sie war recht schmal, erstreckte sich jedoch über

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