Die schöne Kunst des Mordens
folgte.
»Schon gut«, sagte Chutsky wieder, obwohl eindeutig nichts gut war.
»Ich habe das Gefühl, als wäre alles, was ich bisher für richtig gehalten habe, falsch«, fuhr sie fort. »Und ich weiß nicht, ob ich wieder Polizistin sein kann, wenn ich das so empfinde.«
»Es geht dir bestimmt bald besser«, versicherte Chutsky. »Es dauert nur seine Zeit.«
»Schnappt ihn euch«, sagte sie, und als sie mich jetzt ansah, zeigte sich eine Spur ihrer guten, alten Wut. »Schnapp ihn dir, Dexter«, wiederholte sie. »Und tu, was du tun musst.« Sie blickte mir kurz in die Augen, dann drehte sie sich zurück zum Fenster.
»Dad hatte recht«, sagte sie.
30
U nd so kam es, dass ich mich am nächsten Morgen in einem kleinen Gebäude am äußeren Rand des Rollfelds des Miami International Airport wiederfand, in der Hand einen Reisepass auf den Namen David Marcey und am Leib etwas, was man nur als Freizeitanzug bezeichnen konnte, grün mit dazu passenden leuchtendgelben Schuhen und Gürtel.
Neben mir stand mein mich begleitender Leiter der Baptist Brethren International Ministries, der Reverend Campbell Freeney, in einem ebenso abscheulichen Aufzug und mit einem breiten Lächeln, das die Form seines Gesichts zu verändern und sogar einige der Narben verschwinden zu lassen schien.
Ich bin wahrlich keine auf Kleidung fixierte Person, doch pflege ich einige Grundsätze schneiderischen Anstands, und die Ausstattung, die wir trugen, zerschmetterte sie restlos und spuckte sie in den Staub. Ich hatte selbstverständlich protestiert, doch Reverend Kyle versicherte, dass uns keine andere Wahl bliebe. »Du musst deiner Rolle entsprechend gekleidet sein, Kumpel«, sagte er und strich mit der Hand über sein rotes Sakko. »So sehen die Klamotten von baptistischen Missionaren nun mal aus.«
»Könnten wir nicht als Presbyterianer gehen?«, fragte ich hoffnungsvoll, doch er schüttelte den Kopf.
»Das ist der Transfer, den ich ergattern konnte«, sagte er, »und genau so machen wir es. Es sei denn, du sprichst Ungarisch?«
»Eva Gabor?«, fragte ich, doch er schüttelte den Kopf.
»Und versuch, nicht andauernd über Jesus zu reden, das tun sie nämlich nicht. Lächle einfach häufig und sei nett zu allen, dann klappt das schon.« Er reichte mir ein weiteres Schriftstück. »Hier, das ist dein Brief vom Finanzministerium, der dir erlaubt, zur Missionsarbeit nach Kuba zu reisen. Verlier ihn nicht.«
In den wenigen kurzen Stunden zwischen seinem Entschluss, mich nach Havanna zu bringen, und unserem Eintreffen am Flughafen in der Morgendämmerung hatte er sich als Quell vielfältiger Informationen erwiesen, ja sogar an die Ermahnung gedacht, dort kein Leitungswasser zu trinken, was ich geradezu goldig fand.
Mir war kaum Zeit genug geblieben, Rita eine halbwegs plausible Geschichte aufzutischen – ein Notfall, um den ich mich kümmern musste, kein Grund zur Besorgnis, der Streifenpolizist würde weiter an der Haustür wachen, bis ich zurück war. Und obgleich sie über ausreichende Intelligenz verfügte, einen forensischen Notfall verblüffend zu finden, kaufte sie mir alles ab, beruhigt von dem Streifenwagen, der vor dem Haus parkte. Auch Chutsky hatte seinen Teil dazu beigetragen, indem er ihr die Schulter tätschelte und sagte: »Keine Sorge, wir regeln das für dich.« Selbstverständlich verwirrte sie das noch mehr, da sie nicht um irgendwelche Blutspurenanalysen gebeten hatte, und falls doch, hätte Chutsky nichts damit zu tun gehabt. Doch insgesamt schien es ihr den Eindruck zu vermitteln, dass irgendwelche wichtigen Dinge unternommen wurden, um ihre Sicherheit zu gewährleisten, und alles bald wieder gut sein würde, deshalb umarmte sie mich mit einem Minimum an Tränen, und Chutsky geleitete mich zum Auto.
Und so standen wir in dem kleinen Gebäude am Flughafen und warteten auf unseren Flug nach Havanna, und ein Weilchen später waren wir durch die Tür und auf dem Rollfeld, unsere gefälschten Papiere und echten Tickets in Händen, und ernteten unseren gerechten Anteil an Ellbogenknüffen von den übrigen Passagieren, während wir zum Flugzeug drängten.
Es handelte sich um einen alten Passagierjet. Die Sitze waren abgewetzt und nicht ganz so sauber, wie sie hätten sein können. Chutsky – ich meine Reverend Freeney – nahm den Platz am Gang, doch er war so groß, dass er mich gegen das Fenster drängte. Es würde eng werden auf dem Flug nach Havanna, so eng, dass ich warten musste, bis er zur Toilette ging,
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