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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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dann: Falls es irgendwelche echten, physischen Indizien gab, würden die unermüdlichen, hingebungsvollen Helden der Spurensicherung sie entdecken. Demnach brauchte ich eine Art Hinweis aus einer Quelle, die meine Kollegen nicht anzapfen konnten – der Dunkle Passagier. Der Passagier jedoch zeigte sich abgesehen von seinem leisen, barbarischen Kichern unnatürlich schweigsam, und ich war unsicher, was das zu bedeuten hatte. Normalerweise fand jede Art räuberischer Talente bei ihm eine gewisse Wertschätzung, was mir häufig zu einem Verständnis des Mordes verhalf. Doch diesmal mangelte es an einem solchen Kommentar. Weshalb?
    Vielleicht war der Passagier nach seiner kürzlich erfolgten Flucht noch nicht wieder richtig heimisch geworden. Oder er erholte sich noch von seinem Trauma – obgleich das angesichts der zunehmenden Stärke meines Verlangens nicht besonders wahrscheinlich schien.
    Warum also die plötzliche Schüchternheit? Ich war es gewohnt, eine über das Vergnügen hinausgehende Reaktion zu erhalten, wenn vor unserer Nase etwas Böses geschah. Das war nicht passiert. Demnach – war nichts Böses geschehen? Das ergab noch weniger Sinn, da wir ganz eindeutig vier äußerst tote Leichen gefunden hatten.
    Außerdem hieß es, dass ich offensichtlich auf mich selbst gestellt war – und mir gegenüber saß Deborah und musterte mich mit sehr hartem und erwartungsvollem Blick. So tritt einen Schritt zurück, o großer und grimmiger Genius. Etwas an diesen Morden war anders, über die ziemlich fröhliche Präsentation der Leichen hinaus. Und Präsentation war genau das richtige Wort – sie waren auf eine Weise ausgestellt worden, die darauf abzielte, größtmögliche Wirkung zu erzielen.
    Aber bei wem? Die gängige Meinung in der Gemeinschaft psychopathischer Mörder lautet, dass man sich umso mehr Mühe mit dem Aufbau gibt, je mehr man sich nach einem bewundernden Publikum sehnt. Doch gehört es ebenso zum Allgemeinwissen, dass die Polizei derartige Bilder streng unter Verschluss hält, und selbst wenn sie es nicht täte, würde keins der Nachrichtenmedien Bilder dieser grauenhaften Dinge zeigen. Glauben Sie mir, ich habe sie gesehen.
    Auf wen zielten diese Präsentationen demnach ab? Auf die Polizei? Die Spurensicherung? Mich? Nichts davon war wahrscheinlich, und abgesehen von diesen und den drei oder vier Leuten, die die Leichen entdeckt hatten, hatte niemand etwas gesehen; es war nur ein Aufschrei im ganzen Staat Florida erklungen, der verzweifelt versuchte, seine Tourismusindustrie zu retten.
    Plötzlich kam mir eine Idee. Ich schlug die Augen auf und erblickte Deborah, die mich anstarrte wie ein Irischer Setter beim Vorstehen.
    »Was, verdammt noch mal?«, fragte sie.
    »Was, wenn das hier genau das ist, was sie erreichen wollen?«, konterte ich.
    Sie starrte mich einen Moment an, wobei sie aussah wie Cody und Astor kurz nach dem Aufstehen. »Wie meinst du das?«, fragte sie schließlich.
    »Beim Anblick der Leichen ist mir als Erstes aufgefallen, dass es nicht darum gegangen ist, sie zu
töten.
Es ging darum, hinterher mit ihnen zu spielen. Sie zur Schau zu stellen.«
    Debs schnaubte. »Ich kann mich erinnern. Das ergibt
trotzdem
keinen Sinn.«
    »Aber ja doch. Falls jemand einen
Effekt
erzielen möchte. Eindruck schinden will. Betrachte es rückwärts – welche Wirkung hat das Ganze bereits gehabt?«
    »Abgesehen von der weltweiten Aufmerksamkeit der Medien …«
    »Nein,
nicht
abgesehen davon. Denn genau darum geht es meiner Meinung nach.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Was?«
    »Was hast du gegen mediale Aufmerksamkeit, Schwesterherz? Die ganze Welt schaut auf den Sonnenstaat – auf Miami, Leuchtfeuer für Touristen aus aller Welt …«
    »Sie sehen es und sagen, auf keinen Fall fahre ich auch nur in die Nähe dieses Schlachthauses«, sagte Debs. »Komm schon, Dex, worum geht’s hier eigentlich? Ich habe dir gesagt … Oh.« Sie runzelte die Stirn. »Du behauptest, jemand hätte das getan, um die Tourismusindustrie zu attackieren? Den ganzen verschissenen Staat? Das ist total irre.«
    »Glaubst du denn, der Täter wäre nicht irre, Schwesterherz?«
    »Aber wer zum Teufel würde so etwas tun?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Kalifornien?«
    »Komm schon, Dexter«, knurrte sie. »Es muss einen Sinn ergeben. Wenn jemand das tut, muss er ein Motiv haben.«
    »Jemand, der einen Groll hegt«, schlug ich vor, wobei ich wesentlich überzeugter klang, als ich mich fühlte.
    »Einen Groll

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