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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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das wir gesehen hatten, aufgereiht in kleinen Rahmen, bis der Schirm voll war und wie eine Seite aus dem Jahrbuch einer Highschool wirkte; ein Dutzend erschütterter Porträts in drei ordentlichen Reihen.
    Wieder erwachten die Zeichen schimmernd zum Leben.
    DAS NEUE MIAMI : ES WIRD SIE NICHT KALTLASSEN .
    Der Bildschirm wurde dunkel.
    Mir fehlten die Worte, und ein Blick auf meine Gefährten zeigte mir, dass ich nicht der Einzige war. Ich erwog, die Kameraführung zu kritisieren, um das unbehagliche Schweigen zu brechen – immerhin bevorzugt das Publikum heutzutage ein wenig mehr Bewegung in den Einstellungen. Doch die Stimmung im Raum schien einer Diskussion von Filmtechniken nicht eben förderlich, deshalb hielt ich den Mund. Deborah saß da und knirschte mit den Zähnen. Die kleine Frau sagte nichts, sah einfach nur aus dem Fenster und betrachtete die wunderbare Aussicht. Schließlich durchbrach sie das Schweigen: »Wir nehmen an, dass es noch mehr gibt. Ich meine, in den Nachrichten hieß es, vier Leichen seien entdeckt worden, demnach …« Sie zuckte die Achseln. Ich versuchte, um sie herum aus dem Fenster zu schauen, auf was auch immer sie so interessierte, doch außer einem Schnellboot, das den Government Cut hinauffuhr, konnte ich nichts entdecken.
    »Das kam gestern?«, fragte Deborah. »Mit normaler Post?«
    »In einem einfachen Umschlag mit einem Stempel aus Miami«, bestätigte die Frau. »Eine ganz normale Disk, genau wie die, die wir hier im Büro benutzen. Man bekommt sie überall – Office Depot, Wal-Mart, wo auch immer.«
    Sie sagte es mit solcher Geringschätzung und mit einem so reizenden Ausdruck wahren Menschseins im Gesicht – irgendwo zwischen Verachtung und Gleichgültigkeit –, dass ich mich wunderte, wie sie irgendjemanden dazu bringen wollte,
irgendetwas
zu mögen, ganz zu schweigen davon, Millionen von Menschen in eine Stadt zu locken, die zum Teil von Charakteren wie ihr bewohnt wurde.
    Und während dieser Gedanke auf den Boden meines Gehirns klirrte und auf dem Marmor widerhallte, schnaufte ein kleiner Zug aus Bahnhof Dexter auf die Gleise. Einen Moment lang betrachtete ich einfach nur die Rauchschwaden, die aus dem Schornstein drangen, dann schloss ich die Augen und stieg an Bord.
    »Was?«, schnauzte Deborah. »Was hast du?«
    Ich schüttelte den Kopf und durchdachte es ein weiteres Mal. Ich hörte Deborahs Finger auf den Tisch trommeln und das Klappern der Fernbedienung, als die kleine Frau sie hinlegte, dann erreichte der Zug endlich Reisegeschwindigkeit, und ich schlug die Augen auf. »Was wäre«, fragte ich, »wenn jemand negative Publicity für Miami möchte?«
    »Das hast du schon mal gesagt«, schnarrte Deborah. »Und es ist immer noch albern. Wer sollte einen Groll gegen den ganzen beschissenen Staat hegen?«
    »Und wenn es gar nicht um den Staat geht?«, erwiderte ich. »Was, wenn es nur um die Menschen geht, die für den Staat
werben?
« Ich sah ostentativ zu der kleinen Frau hinüber.
    »Ich?«, sagte die kleine Frau. »Das hat jemand getan, um
mir
eins auszuwischen?«
    Ihre Bescheidenheit rührte mich, und so schenkte ich ihr eines meiner herzlichsten falschen Lächeln. »Ihnen oder Ihrer Behörde.«
    Sie runzelte die Stirn, als wäre die Vorstellung, jemand könne die Behörde statt ihrer Person angreifen, lächerlich. »Nun.« Der Zweifel stand ihr ins Gesicht geschrieben.
    Doch Deborah schlug auf den Tisch und nickte. »Das ist es. Jetzt ergibt das Ganze Sinn. Falls Sie Leute gefeuert haben und die jetzt sauer sind.«
    »Besonders, wenn sie von Anfang an ein bisschen merkwürdig waren«, setzte ich hinzu.
    »Was die meisten dieser künstlerischen Typen doch ohnehin sind«, sagte Deborah. »Also hat jemand seine Stelle verloren, darüber gebrütet und dann zurückgeschlagen.« Sie wandte sich an die kleine Frau. »Ich muss Ihre Personalakten einsehen.«
    Die Frau öffnete und schloss ein paarmal den Mund, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich kann Ihnen unsere Akten nicht geben.«
    Deborah funkelte sie einen Moment an, doch gerade, als ich damit rechnete, dass sie nun Einwände erheben würde, stand sie auf. »Ich verstehe«, sagte sie. »Komm, Dex.« Sie ging zur Tür, und ich erhob mich, um ihr zu folgen.
    »Was – wo gehen Sie hin?«, rief die Frau.
    »Ich besorge mir einen Gerichtsbeschluss. Und einen Durchsuchungsbefehl.« Deborah wandte sich ab, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Ich sah zu, während die Frau glaubte, sie könnte sich durchbluffen, ganze

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