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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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stehenden Abfalleimer und verfehlte ihn um einen guten Meter. »Schmeckt scheiße«, erklärte sie.
    »Möchtest du lieber meine Zuckerstange lutschen?«, erkundigte sich Vince.
    Debs zwinkerte nicht einmal. »Tut mir leid, ich brauche wenigstens einen Mundvoll, deine reicht da nicht«, sagte sie und packte mich am Arm. »Komm.«
    Meine Schwester führte mich den Flur hinunter zu ihrem Kabuff, wo sie sich in ihren Schreibtischstuhl warf. Ich setzte mich auf den Klappstuhl und wartete auf welchen Ansturm der Gefühle auch immer, den sie für mich bereithalten mochte.
    Er traf mich in Form eines Stapels Zeitungen, die sie nach mir zu werfen begann, während sie aufzählte:
»
LA
Times. Chicago Sun-Times. New York Scheiß-Times. Der Spiegel. Toronto Star.
«
    Kurz bevor ich besinnungslos unter dem Papierberg verschwand, langte ich hinüber und ergriff ihren Arm, ehe sie den
Karachi Observer
nach mir werfen konnte. »Debs«, mahnte ich. »Ich kann sie besser lesen, wenn sie nicht in meinen Augenhöhlen verkeilt sind.«
    »Uns fliegt die Scheiße um die Ohren«, fauchte sie. »Sie fliegt uns mit einer Gewalt um die Ohren, die du noch nie erlebt hast.«
    Ehrlich gesagt war mir noch nicht oft Scheiße um die Ohren geflogen, obzwar Randy Schwarz damals in der Schule einen Feuerwerkskörper in einer vollen Schüssel in der Jungentoilette gezündet hatte, was Mr. O’Brien zwang, früher nach Hause zu fahren, um sich umzuziehen. Doch Debs war eindeutig nicht in der Stimmung für sentimentale Erinnerungen, obwohl weder sie noch ich Mr. O’Brien gemocht hatten. »Das habe ich bereits aus der Tatsache geschlossen, dass Matthews sich plötzlich unsichtbar gemacht hat«, erklärte ich.
    Sie schnaubte. »Als hätte es ihn nie gegeben.«
    »Ich hätte nie geglaubt, mal einen Fall zu erleben, der so heiß ist, dass der Captain nicht ins Fernsehen möchte.«
    »Vier verdammte Leichen an einem einzigen verdammten Tag«, spuckte sie. »So was hat noch nie jemand erlebt, und an mir bleibt es hängen.«
    »Rita sagt, du hättest im Fernsehen sehr hübsch ausgesehen«, sagte ich ermutigend, aber aus irgendeinem Grund schlug sie zur Antwort nur auf den Stapel Zeitungen und warf noch ein paar zu Boden.
    »Ich will nicht ins verdammte Fernsehen«, zischte sie. »Der verdammte Matthews hat mich den Löwen vorgeworfen, weil das hier im Moment die absolut größte, beschissenste, gottverdammteste Geschichte in der gesamten Scheißwelt ist, und wir haben noch nicht mal Bilder von den Leichen freigegeben, aber irgendwie wissen alle, dass was echt Unheimliches vorgeht, und der Bürgermeister hat die Hosen voll, und der Scheißgouverneur hat die Hosen voll, und wenn ich den Fall nicht bis zum Mittagessen gelöst habe, stürzt der gesamte Scheißstaat Florida in den Ozean, und zwar direkt auf mich drauf.« Sie schlug gegen den Zeitungsstapel, und diesmal fiel mindestens die Hälfte zu Boden. Damit schien ihre Wut verraucht zu sein, denn sie sackte in sich zusammen und wirkte plötzlich ausgelaugt und erschöpft. »Ich brauche echt Hilfe. Ich hasse es, dich zu fragen, aber … Falls du schlau daraus wirst, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt.«
    Ich war nicht ganz sicher, was ich mit der Tatsache anfangen sollte, dass sie es plötzlich hasste, mich zu fragen – immerhin hatte sie mich auch zuvor schon einige Male gefragt, und anscheinend ohne jeden Hass. Was meine besonderen Talente betraf, schien sie in letzter Zeit ein bisschen seltsam, ja sogar ein wenig schnippisch zu sein. Doch zur Hölle damit. Es stimmt schon, ich habe keine Gefühle, doch bin ich nicht immun gegen diesbezügliche Manipulationen, und der Anblick meiner Schwester, so offensichtlich mit ihrem Latein am Ende, war mehr, als ich leichten Herzens ignorieren konnte. »Natürlich helfe ich dir, Debs«, sagte ich. »Ich weiß nur nicht, wie viel ich tun kann.«
    »Ach Scheiße, du musst was machen. Wir gehen hier unter.«
    Es war nett, dass sie »wir« sagte und mich einschloss, obgleich mir bis zu diesem Moment nicht bewusst gewesen war, dass auch ich unterging. Doch selbst das neue Zugehörigkeitsgefühl half meinem gigantischen Hirn nicht auf die Sprünge. Tatsächlich war der riesige Kranialkomplex, auch bekannt als Dexters Zerebralfakultät, unnatürlich ruhig, genau wie an den Fundorten. Nichtsdestotrotz war klar, dass die Situation nach dem guten alten Mannschaftsgeist verlangte, deshalb schloss ich die Augen und versuchte, so zu wirken, als dächte ich intensiv nach.
    Also

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