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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Tag war Coulters Offenbarung einer dünnen Patina von Witz. Ich hatte ihn als überaus stumpfsinnigen und begriffsstutzigen Teigklumpen betrachtet, kaum in der Lage, mehr zu tun, als bei einem Unfall die Personalien aufzunehmen, und nun stand er hier und machte mit geradezu professioneller Schlagfertigkeit amüsante Bemerkungen. Und da er dazu fähig war, musste ich davon ausgehen, dass er sehr wohl eine Außenseiterchance haben mochte, zwei und zwei zusammenzuzählen und auf mich zu kommen. Nun war wahrhaftig mein ganzes Können gefragt. Und so ließ ich meine Gerissenheit auf Hochtouren laufen und entschloss mich, es mit der altehrwürdigen Taktik einer in eine dünne Wahrheit verpackten dicken Lüge zu versuchen.
    »Hören Sie, Detective«, begann ich in schmerzerfülltem und irgendwie zauderndem Ton, auf den ich sehr stolz war. Dann schloss ich die Augen und atmete tief ein – wahrhaft oscarverdächtig, wenn Sie mich fragen. »Es tut mir leid, mir ist immer noch ein wenig schwummrig. Sie sagen, ich hätte eine leichte Gehirnerschütterung erlitten.«
    »War das, ehe Sie hierherkamen, Dex?«, erkundigte sich Coulter. »Oder wissen Sie vielleicht noch, aus welchem Grund Sie hergekommen sind?«
    »Ich kann mich erinnern«, erwiderte ich widerstrebend. »Es ist nur …«
    »Sie fühlen sich nicht besonders.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Das kann ich verstehen«, meinte er, und einen wilden, irrationalen Moment lang glaubte ich, er würde mich gehen lassen. Von wegen. »Was ich nicht verstehe«, fuhr er erbarmungslos fort, »ist, was zum Teufel Sie hier zu suchen hatten, als das verdammte Haus in die Luft geflogen ist.«
    »Das ist nicht ganz einfach zu erklären.«
    »Das glaube ich Ihnen. Sonst hätten Sie es mittlerweile wohl getan. Wollen Sie es mir verraten, Dex?« Er zog mit einem Plopp den Finger aus der Flasche, trank einen Schluck und stopfte ihn wieder hinein. Die Flasche war inzwischen halb leer und hing dort wie eine Art befremdlicher und peinlicher biologischer Appendix. Coulter wischte sich wieder über den Mund. »Verstehen Sie, ich müsste das irgendwie schon wissen«, erklärte er. »Man hat mir nämlich gesagt, dass eine Leiche dort drin liegt.«
    Ein kleineres seismisches Ereignis arbeitete sich mein Rückgrat hinunter, von der Schädeldecke bis hinab zu den Fersen. »Leiche?«, wiederholte ich mit dem mir eigenen durchdringenden Scharfsinn.
    »Ja«, bestätigte er. »Eine Leiche.«
    »Sie meinen – tot?«
    Coulter nickte, während er mich mit distanziertem Vergnügen betrachtete, und zu meinem größten Erschrecken wurde mir bewusst, dass wir die Rollen getauscht hatten und jetzt ich der Dumme war. »Ja, das stimmt«, sagte er. »Sie lag im Haus, als es hochging, und da sollte man doch annehmen, dass sie tot war. Außerdem konnte sie wohl kaum wegrennen, so gefesselt und so. Wissen Sie vielleicht, wer einen Kerl fesseln würde, wenn das Haus explodiert?«
    »Es, äh … muss wohl der Mörder gewesen sein«, stammelte ich.
    »Mhm«, sagte Coulter. »Sie nehmen demnach an, dass der Mörder ihn ermordet hat, richtig?«
    »Äh, ja«, erwiderte ich, und selbst durch das Hämmern in meinem Kopf konnte ich hören, wie dumm und wenig überzeugend ich klang.
    »Mhm. Aber Sie waren es nicht, richtig? Ich meine, Sie haben den Kerl nicht gefesselt und eine Cohiba-Zigarre oder so was reingeworfen, oder?«
    »Hören Sie, ich habe gesehen, wie der Kerl wegfuhr, als das Haus in die Luft flog.«
    »Und wer war er, Dex? Ich meine, kennen Sie seinen Namen oder so? Das wäre nämlich eine große Hilfe.«
    Mag sein, dass die Gehirnerschütterung sich ausweitete, denn eine grauenhafte Benommenheit schien sich meiner zu bemächtigen. Coulter hegte einen Verdacht, und obgleich ich in diesem Fall relativ unschuldig war, würde jede Art von Ermittlungen zu unersprießlichen Ergebnissen für Dexter führen. Er hatte den Blick nicht von meinem Gesicht gewandt und mit keiner Wimper gezuckt, und ich musste ihm antworten, doch selbst mit der leichten Gehirnerschütterung wusste ich, dass ich Weiss’ Namen nicht nennen durfte. »Ich, es – das Auto war auf einen Kenneth Wimble zugelassen«, sagte ich zögernd.
    Coulter nickte. »Der Typ, dem das Haus gehört.«
    »Ja, genau.«
    Er nickte mechanisch weiter, als ergäbe das irgendeinen Sinn, und sagte: »Sicher. Demnach nehmen Sie an, dass Wimble den Mann fesselte – in seinem eigenen Haus –, sein Haus in die Luft sprengte und darauf in seinem eigenen Auto davonfuhr,

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