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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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logische Aktivität, dem Haus zu nähern.
    Und was dann? Konnte ich wirklich eindringen und Weiss überraschen, am helllichten Tag? Das gleißende Sonnenlicht ließ das äußerst unwahrscheinlich erscheinen. Keine bequeme Dunkelheit, keine Schatten, die mich schützten und mein Nahen verbargen. Ich war absolut nicht zu übersehen, und falls Weiss aus dem Fenster sah und mich erkannte, war das Spiel vorüber, ehe es richtig begonnen hatte.
    Doch welche Wahl hatte ich? Es hieß: er oder ich, und wenn ich nichts unternahm, würde höchstwahrscheinlich er eine Menge unternehmen, angefangen mit meiner Enttarnung, und dann die ganze Liste hinunter bis zu Cody und Astor abarbeiten. Ich musste ihm zuvorkommen und ihn aufhalten. Jetzt.
    Doch als ich mich aufrichtete, um eben das zu tun, drängte sich mir ein höchst unwillkommener Gedanke auf: Sah Deborah mich in diesem Licht? Betrachtete sie mich als wilde Obszönität, die sich mit willkürlicher Grausamkeit durch die Botanik schlug? War sie deswegen so unglücklich mit mir? Weil sie mich als beutehungriges Ungeheuer sah? Die Vorstellung war so schmerzlich, dass ich einen Moment lang nichts anderes tun konnte, als die Schweißtropfen wegzuzwinkern, die von der Stirn rannen. Es war unfair, völlig ungerechtfertigt; natürlich war ich ein Ungeheuer – aber nicht so eins. Ich war ordentlich, zielstrebig, höflich und stets darauf bedacht, den Touristen keine Unannehmlichkeiten zu bereiten, indem ich wahllos Körperteile herumliegen ließ. Warum erkannte sie das nicht? Wie konnte ich sie dazu bringen, die wohlgeordnete Schönheit des Wesens zu erkennen, zu dem Harry mich erzogen hatte?
    Die erste Antwortete lautete: überhaupt nicht – nicht, falls Weiss am Leben und auf freiem Fuß blieb. Denn sobald mein Gesicht in den Nachrichten auftauchte, war mein Leben vorüber, und Deborah bliebe nicht mehr Wahl als mir; nicht mehr Wahl als mir in diesem Moment. Sonnenschein hin oder her, ich musste es tun, und zwar rasch und gut.
    Ich holte tief Luft und ging die Straße hoch zu Wimbles Nachbarhaus, wobei ich interessiert die Bäume entlang der Zufahrt musterte und auf meinem Klemmbrett kritzelte. Langsam schritt ich die Zufahrt hoch. Niemand sprang mich mit einer Machete zwischen den Zähnen an, deshalb ging ich die Zufahrt wieder hinunter, zögerte und lief dann weiter zu Wimbles.
    Auch dort standen verdächtige Bäume, die es zu inspizieren galt, und ich sah an ihnen hoch, machte mir Notizen und bewegte mich ein Stückchen weiter die Zufahrt hinauf. Aus dem Haus drangen keinerlei Geräusche oder andere Lebenszeichen. Obgleich ich nicht wusste, was ich zu finden hoffte, trat ich stetig näher und suchte danach, und nicht nur in den Bäumen. Vorsichtig musterte ich das Haus, registrierte, dass an allen Fenstern die Jalousien heruntergezogen waren. Niemand konnte hinein- oder hinaussehen. Ich war die Zufahrt weit genug heraufgelaufen, um die Hintertür zu erkennen, zu der zwei Zementstufen führten. Ich bewegte mich lässig darauf zu, während ich auf jedes leise Rascheln lauschte oder auf Schreie wie: »Pass auf! Er ist hier!« Noch immer nichts; ich gab vor, hinten im Garten einen Baum entdeckt zu haben – dicht neben einem Gastank und nur fünf Meter von der Tür entfernt –, und ging hinüber.
    Noch immer nichts. Ich kritzelte. In der oberen Türhälfte befand sich ein Fenster, das nicht verdeckt war. Ich schritt hinüber, erklomm die beiden Stufen und spähte hinein. Ich erblickte einen düsteren Flur, gesäumt von einer Waschmaschine und einem Trockner und ein paar Schrubbern und Besen, die von Klammern gehalten an der Wand hingen. Ich legte meine Hand um den Türknauf und drehte langsam und leise. Sie war nicht verschlossen. Ich atmete tief ein …
    … und fuhr fast aus der Haut, als ein grauenhafter, erschütternder Schrei aus dem Inneren drang. Es war der Klang von Qual und Grauen und ein solch eindeutiges Flehen um Hilfe, dass selbst der desinteressierte Dexter unwillkürlich einen Schritt nach vorn machte. Ich stand bereits mit einem Fuß im Haus, als ein winzig kleines Fragezeichen über den Boden meines Verstands krabbelte, und ich dachte:
Den Schrei habe ich schon mal gehört.
Und als sich mein zweiter Fuß voranschob, weiter in das Haus hinein, dachte ich:
Ehrlich? Wo?
Die Antwort erfolgte äußerst rasch, was sehr beruhigend war: Es handelte sich um denselben Schrei wie in den » DAS-NEUE-MIAMI «-Videos, die Weiss produziert hatte.
    – Was bedeutete, dass

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