Die schöne Kunst des Mordens
das leise Murmeln der Nachtgebete in den Kinderzimmern am Ende des Flurs verklungen war, hörte ich, wie sie das Bad betrat. Eine Weile lief Wasser, und ich war fast eingeschlafen, als die Laken raschelten und etwas, das nach äußerst aggressiven Orchideen roch, neben mir ins Bett schlüpfte.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Rita.
»Viel besser«, sagte ich, und um Lob zu spenden, wo Lob angebracht war, fügte ich hinzu: »Die Suppe scheint geholfen zu haben.«
»Gut«, flüsterte sie und legte mir den Kopf auf die Brust. Sie blieb eine Zeitlang so liegen. Ich konnte ihren Atem spüren, der über meine Brust strich, und fragte mich, ob ich mit dem Gewicht ihres Kopfes, das auf meine Rippen drückte, wirklich einschlafen konnte. Doch dann änderte sich der Rhythmus ihrer Atmung, stockte immer wieder, und mir wurde bewusst, dass sie weinte.
Es gibt nur wenige Dinge auf der Welt, denen ich ratloser gegenüberstehe als den Tränen einer Frau. Ich weiß, dass ich etwas Tröstliches tun müsste, um dann egal welchen Drachen zu erschlagen, der die Tränen verursacht hat, doch meiner bescheidenen Erfahrung mit Frauen nach fließen diese Tränen nie dann, wenn sie sollten, und nie aus dem Grund, den man annimmt, und als Folge daraus bleiben einem nur wahrhaft alberne Möglichkeiten, wie ihr den Kopf zu streicheln und »na, na« zu murmeln, in der Hoffnung, dass sie einem irgendwann verrät, worum es eigentlich geht.
Und gemäß dieser Regel kam Ritas Antwort aus dem absoluten Nichts, das ich auf keinen Fall hätte vorhersehen können. »Ich darf dich nicht verlieren«, schluchzte sie.
Ich hegte keineswegs die Absicht, verloren zu gehen, und das hätte ich ihr auch gern mitgeteilt, doch Rita war mittlerweile in voller Fahrt; ihr Körper wurde von lautlosen Schluchzern geschüttelt, während ein kleiner Bach salzigen Wassers meine Brust hinunterrann. »Oh, Dexter«, schluchzte sie. »Was soll ich nur tun, wenn ich dich auch verliere?«
Mit dem Wörtchen »auch« befand ich mich ganz plötzlich in vollkommen unerwarteter und unbekannter Gesellschaft, vermutlich von Menschen, die Rita unachtsam hatte herumliegen lassen, woraufhin sie verlorengegangen waren. Sie hatte mir weder einen Hinweis gegeben, wie es mir gelungen war, einen Platz in dieser Gruppe zu erobern, noch, um wen es sich eigentlich handelte. Meinte sie ihren ersten Mann, den Junkie, der sie, Cody und Astor geschlagen und gequält und so traumatisiert hatte, dass sie meinem Idealbild einer Familie entsprachen? Er saß momentan im Gefängnis, und das war auch in meinen Augen eine schlechte Art, verloren zu gehen. Oder existierte noch eine weitere Reihe fehlplazierter Personen, die durch die Ritzen von Ritas Leben gerutscht und vom Regen des unglücklichen Zufalls fortgespült worden waren?
Und dann, als hätte es noch eines Beweises bedurft, dass ihre Gedanken ihr von einem Mutterschiff im Weltraum jenseits des Pluto gesendet wurden, rutschte Rita mit dem Kopf meine Brust hinunter über meinen Bauch – noch immer schluchzend, verstehen Sie, und hinterließ eine rasch erkaltende Tränenspur.
»Bleib einfach still liegen«, schniefte sie. »Mit einer Gehirnerschütterung darf man sich nicht anstrengen.«
Wie bereits erwähnt: Man kann nie wissen, welches Programm kommt, wenn eine Frau auf die Tränendrüse drückt.
24
M itten in der Nacht wurde ich wach und dachte:
Aber was will er?
Ich weiß weder, warum ich mir diese Frage nicht eher stellte, noch, warum sie mir in diesem Moment einfiel, während ich gemütlich im Bett neben der sanft schnarchenden Rita lag. Doch da war sie – trieb auf der Oberfläche von Lake Dexter und zwang mich, mich mit ihr zu beschäftigen. Mein Kopf arbeitete noch nicht richtig, es fühlte sich an, als wäre er mit nassem Sand gefüllt, und so lag ich mehrere Minuten da und wusste nichts mit dem Gedanken anzufangen, außer ihn zu wiederholen:
Was will er?
Was wollte Weiss? Ich war recht sicher, dass er keinen eigenen Passagier hegte. Weder in seiner Nähe noch in der seiner Kunstwerke hatte ich bei meinem Passagier irgendwelche Sympathieschwingungen gespürt, was in der Gegenwart einer anderen Präsenz unweigerlich der Fall gewesen wäre.
Außerdem zeigte seine Vorgehensweise, die Verwendung bereits toter Körper, statt eigene zu schaffen – zumindest, bevor er Deutsch ermordete –, dass er auf etwas völlig anderes aus war.
Aber auf was? Er drehte Videos von den Leichen. Er drehte Videos von den Leuten, die die Leichen
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