Die schöne Kunst des Mordens
sahen. Und er hatte ein Video von mir beim Spielen gedreht – einzigartiges Material, gewiss, aber nichts davon fügte sich so zusammen, dass ich einen Sinn darin erkennen konnte. Wo blieb der Spaß? Ich konnte keinen entdecken – und deshalb war es mir unmöglich, mich in Weiss’ Kopf zu versetzen und ihn einzuschätzen. Bei normalen, ausgeglichenen Psychopathen, die mordeten, weil sie mussten, und einfaches, ehrliches Vergnügen an ihrer Arbeit fanden, hatte ich diese Probleme nicht. Ich verstand sie nur allzu gut, denn ich war einer von ihnen. Doch mit Weiss existierte kein Berührungspunkt, keine Empathie, weshalb ich nicht die leiseste Ahnung hatte, wohin er sich wenden und was er als Nächstes tun würde. Ich hatte das äußerst unangenehme Gefühl, dass es mir nicht gefallen würde – doch keine Vorstellung, was es sein würde, und auch das gefiel mir ganz und gar nicht.
Eine Zeitlang lag ich im Bett und dachte darüber nach – oder versuchte vielmehr, darüber nachzudenken, da das brave Schiff Dexter eindeutig noch nicht in der Lage war, Volldampf zu geben. Mein Kopf blieb leer. Ich wusste nicht, was er wollte. Ich wusste nicht, was er als Nächstes vorhatte. Coulter war hinter mir her. Ebenso Salguero, und selbstverständlich hatte auch Doakes nie aufgegeben. Debs lag nach wie vor im Koma.
Andererseits hatte Rita mir eine sehr gute Suppe gekocht. Sie war wirklich sehr gut zu mir – sie hatte etwas Besseres verdient, auch wenn ihr das selbst offensichtlich nicht bewusst war. Anscheinend glaubte sie, mit mir, den Kindern und unserer Reise nach Paris alles zu besitzen. Wenngleich das in gewisser Weise stimmte, ähnelte nichts davon auch nur im Entferntesten den Vorstellungen, die sie darüber hegte. Sie war wie ein Mutterlamm unter Wölfen, und wo sie nur weiße, flauschige Wolle sah, leckte das Rudel sich in Wahrheit die Lippen, während es darauf wartete, dass sie sich umdrehte. Dexter, Cody und Astor waren Ungeheuer. Und Paris – nun, dort sprach man tatsächlich Französisch, wie sie gehofft hatte. Doch auch Paris konnte mit einzigartigen Ungeheuern aufwarten, was unser wunderbarer Besuch in der Galerie bewiesen hatte. Wie lautete gleich noch der Titel? »Jennifers Bein.« Nach all meinen Jahren der Schinderei auf diesem Gebiet konnte ich noch immer überrascht werden, und aus diesem Grund verspürte ich eine gewisse Sympathie für Paris.
Zwischen Jennifer und ihrem Bein, Ritas exzentrischem Auftritt und was immer es auch war, das Weiss tat, steckte das Leben in letzter Zeit voller Überraschungen, und sie alle liefen auf denselben Punkt hinaus: Menschen verdienten tatsächlich, was ihnen zustieß, nicht wahr?
Mag sein, dass mir das nicht zur Ehre gereicht, doch ich fand diesen Gedanken sehr tröstlich, und schon bald darauf glitt ich zurück in den Schlaf.
Am nächsten Morgen war mein Kopf wesentlich klarer; ob das nun Ritas Verdienst oder meinem von Natur aus putzmunteren Stoffwechsel zu verdanken war, vermag ich nicht zu sagen. Als ich aus dem Bett sprang, stand mir jedenfalls wieder ein voll funktionstüchtiger und machtvoller Verstand zur Verfügung, was nur zu begrüßen war.
Andererseits jedoch würde jedes effiziente Gehirn, das sich in der Situation wiederfand, in der ich steckte, einen starken Drang zur Panik niederkämpfen, seine Tasche packen und in Richtung Grenze verschwinden. Doch selbst wenn meine mentalen Kräfte unter Hochdruck arbeiteten, fiel mir absolut keine Grenze ein, die mich vor dem Schlamassel schützen würde, in dem ich steckte.
Nun, das Leben lässt uns nur selten echte Wahlmöglichkeiten, und die meisten davon sind grauenhaft, deshalb fuhr ich zur Arbeit, wild entschlossen, Weiss aufzuspüren und nicht zu ruhen, bis ich ihn hatte. Nach wie vor verstand ich weder ihn noch seine Taten, doch das bedeutete nicht, dass ich ihn nicht finden konnte. Nein, schließlich war Dexter halb Bluthund, halb Bulldogge, und wenn er eine Spur verfolgte, gab man besser gleich auf und sparte allen Zeit und Mühen. Ich fragte mich, ob es eine Möglichkeit gab, Weiss diese Botschaft zu übermitteln.
Ich erschien ein wenig zu früh zur Arbeit, weshalb es mir gelang, eines Kaffees habhaft zu werden, der tatsächlich fast wie Kaffee schmeckte. Ich nahm ihn mit zum Schreibtisch, setzte mich an den PC und machte mich an die Arbeit. Um ganz und gar aufrichtig zu sein, ich starrte auf meinen Bildschirm und versuchte, mir etwas einfallen zu lassen, mit dem ich mich an die Arbeit machen
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