Die schöne Mätresse
unwichtig.
„In der Tat, Ma’am. Sicher sind Sie ebenso verzweifelt, Miss Marlowe. Ich wollte Lady Cheverly gerade eine Behandlungsmethode erläutern, die sowohl bei meinem Ehemann als auch meinem Schwager sehr wirksam war.“
„Bitte fahren Sie fort“, sagte Miss Marlowe nur.
Emily begann damit, den Damen fiebersenkende Umschläge zu empfehlen, außerdem erklärte sie die Vorzüge von Kräuteraufgüssen zum Reinigen der Wunde und die heilsame Wirkung des Weidenrindetees. Beide Frauen lauschten ihr aufmerksam. Schließlich hielt sie inne, um Atem zu schöpfen.
Lady Cheverly ergriff ihre Hand. „Danke, meine Liebe. Ich werde Ihre Ratschläge sofort in die Tat umsetzen. Du passt auf, dass ich alles richtig mache, nicht wahr, Andrea?“
„Natürlich. Aber in unserem Kummer scheinen wir unsere guten Manieren vergessen zu haben. Möchten Sie sich nicht setzen und eine kleine Erfrischung zu sich nehmen, Lady Auriana?“ fragte Miss Marlowe.
Emily konnte nicht anders, als ruhelos auf und ab zu gehen und unablässig zur Treppe zu blicken. Sie hätte aus der Haut fahren können, so übermächtig war das Bedürfnis, Evan zu sehen. Sie wollte Gewissheit, wie schwer seine Verletzungen waren, und die Behandlung überwachen, die bei Rob, Andrew und mehreren anderen Soldaten so gut gewirkt hatte.
Bei Andrews letzter Verwundung hatte sie allerdings nichts mehr ausrichten können.
Angestrengt suchte sie nach einer Ausrede, das Krankenzimmer eines Mannes betreten zu dürfen, mit dem sie weder verwandt noch anderweitig verbunden war. Es fiel ihr jedoch nichts ein. Sie bemerkte, dass Miss Marlowe immer noch auf eine Erwiderung wartete. „Entschuldigen Sie! Nein, nein, ich darf nicht bleiben. Sie werden schnell wieder zu Ev… Lord Cheverly wollen.“
Lady Cheverly lächelte traurig. „Ja, sobald ich den Weidenrindetee habe, den ich ihm einflößen will. Ich werde sofort in die Küche gehen. Ich danke Ihnen nochmals, Lady Auriana. Ich werde Ihre Güte nie vergessen.“
Es war eine unmissverständliche Verabschiedung. Emily kam immer noch kein Grund in den Sinn, wie sie ihren Besuch ausdehnen oder gar zu Evan gelangen könnte. „Das habe ich gern getan“, versicherte sie leise. Sie spürte, wie Tränen in ihre Augen traten. Niedergeschlagen wandte sie sich zum Gehen.
Evans Mutter folgte ihr jedoch. „Lady Auriana?“
Emily drehte sich zu ihr um. „Ma’am?“
Kleine Fältchen hatten sich um Lady Cheverlys Augen gebildet. Zum ersten Mal, seit Emily sie kannte, entsprach das Aussehen der Dame ihrem wirklichen Alter. „Es tut mir Leid“, flüsterte die Frau.
Wenn sie noch etwas sagte, würde sie zweifellos zu weinen anfangen. Daher nickte Emily nur stumm und ging zögernd zur Tür.
Zu ihrer Überraschung begleitete sie Miss Marlowe hinaus. Offensichtlich wollte sie sie zur Kutsche bringen. Erstaunt blieb sie stehen, als sie die leere Straße bemerkte. „Sind Sie nicht mit dem Wagen gekommen?“
„Nein. Ich habe eine Droschke genommen.“
Miss Marlowe überlegte kurz. Statt jedoch einen Diener anzuweisen, eine Kutsche herbeizurufen, wandte sie sich Emily zu. „Bitte, Lady Auriana, ich weiß, wie ungewöhnlich mein Ansinnen ist, aber … Würden Sie bitte zu ihm gehen? Bitte! Ich habe Richard sterben sehen, und ich kann nicht … Ich will nicht …“ Ihre Stimme brach.
Emily traute ihren Ohren kaum. „Ich werde zu ihm gehen“, versprach sie schließlich.
Miss Marlowe unterdrückte ein Schluchzen. Sie ergriff Emilys Hand und küsste sie. „Danke. Warten Sie hier. Ich bin sofort zurück.“
Voller Angst wartete Emily, bis das Mädchen wiederkam. Später, wenn sie Evan behandelt hatte und keine Zweifel mehr an seiner Genesung hegte, würde ihr schon irgendeine Ausrede einfallen, warum sie ihn unbedingt hatte sehen wollen. Glücklicherweise schien Miss Marlowe selbst zu aufgeregt, um sich darüber Gedanken zu machen.
Zehn Minuten später führte Lord Cheverlys Verlobte Emily durch ein wahres Labyrinth von Wirtschaftsräumen, über enge Treppen hinauf und schließlich in einen breiten, prächtigen Korridor. Der Gestank schmutziger Verbände schlug ihnen bereits entgegen, bevor sie das Krankenzimmer betraten.
Erbleichend presste Miss Marlowe ein Taschentuch auf ihre Nase. Ihre blauen Augen füllten sich mit Tränen. „Der Herr möge Sie segnen, falls Sie ihm helfen können“, flüsterte sie, während sie an die Tür klopfte.
Sein Kammerdiener Baines öffnete die Tür. „Sie können jetzt nicht zu ihm,
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