Die schöne Mätresse
beherrschte ihre Gedanken: Sobald sie sich umgekleidet hatte, würde sie einen Kutscher bitten, sie zum Portman Square zu bringen.
Sie sollte nicht dorthin gehen. Was, um Himmels willen, sollte sie zu Lady Cheverly sagen – oder zu seiner Verlobten, Miss Marlowe?
Dennoch konnte sie keine Macht der Welt daran hindern, zu ihm zu eilen. Weder erhobene Augenbrauen noch schockierte Gesichter oder die Spekulationen, die ihr unangekündigter Besuch zweifellos hervorrufen würde, falls jemand davon erfuhr.
Dann stand sie bereits in der Eingangshalle und fragte den Butler nach Lady Cheverly. „Vermutlich empfängt sie derzeit keine Gäste, da ihr Sohn verwundet nach Hause gebracht wurde, wie mir Mr. Blakesly berichtete. Ich besitze einige Erfahrung mit der Pflege Kriegsverwundeter und möchte ihr gern meine Hilfe anbieten.“
Würde seine Mutter mit ihr sprechen? Emily wusste nicht, ob sie es verkraften würde, falls die Dame ablehnte. Sie musste einfach mehr über Evans Zustand erfahren – was bisher getan worden war und welche Behandlung der Arzt vorschlug. Evan würde niemals ihr gehören, sondern wieder genesen, um eine andere Frau zu heiraten. Aber gesund werden musste er. Sie konnte ihn nicht einfach sterben lassen wie Andrew.
Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung erschien kurz darauf Lady Cheverly.
Ein angstvoller Ausdruck spiegelte sich auf ihrem blassen Gesicht wider, ihre Hände umklammerten ein zerknittertes Leinentaschentuch. „Lady Auriana! Billingsly sagte, Sie sind über meinen Sohn informiert?“
„Ja. Ich bedaure sehr, Sie unangemeldet zu stören. Aber als Mr. Blakesly mir von Lord Cheverlys Verwundung erzählte, wusste ich, welche Sorgen Sie durchleiden müssen. Wie ich hörte, wurde er nach seiner Verletzung sofort aus dem Ausland zurückgebracht.“
Lady Cheverly blickte sie fassungslos an.
Emily war klar, dass sie sämtliche Anstandsregeln ignorierte, aber sie hatte keine Zeit für höfliche Floskeln. Stattdessen fuhr sie hastig fort: „Die Pflege in den ersten Tagen nach einem solchen Unglück ist von höchster Wichtigkeit. Hat ihn ein Arzt während der Reise behandelt?“
„Das kann ich nicht sagen.“ Das Leiden ihres Sohnes wog offenbar schwerer als die Etikette, denn Lady Cheverly reagierte plötzlich so, als würde sie jeden Tag mit ihren Gästen über medizinische Themen diskutieren. „Er ist in schmutzige Leintücher gewickelt. Ich war nicht sicher, ob ich sie entfernen soll oder nicht – er wirft sich so heftig umher. Nun hat auch noch unser Arzt die Stadt verlassen und kehrt erst morgen zurück. Und ich kenne keinen anderen, dem ich wirklich vertrauen kann. Aber vielleicht sollte ich irgendjemanden rufen lassen …“ Sie schluchzte. „Er ist so krank, und ich weiß nicht, was ich tun soll! Der Butler erwähnte, Sie hätten Erfahrung in der Krankenpflege. Falls Sie nützliche Vorschläge hätten, wäre ich Ihnen unendlich dankbar. Er kann nicht einmal …“ Sie presste die Lippen zusammen, und ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. „Er erkennt mich nicht mehr.“
Fieber. Bewusstlosigkeit. Es war eine Qual, hier im Foyer herumzustehen, während es sie mit Macht an Evans Bett zog. Dennoch zwang sie sich zur Ruhe. „Sie sollten zunächst mehrere Dinge tun, angefangen mit …“
Eine zornige Stimme unterbrach Emilys Aufzählung. „Eine Besucherin? Wie kann es jemand wagen, uns jetzt zu stören? Was hat Sie dazu bewogen, die Dame zu empfangen?“
Die Worte hallten von den hohen Wänden wider, während Miss Marlowe mit blitzenden blauen Augen in den Raum hinkte. „Es tut mir Leid, aber Sie müssen leider gehen …“
Als sie Emily erblickte, blieb sie erstaunt stehen. „Lady Auriana?“ Verwirrt wandte sie sich Lady Cheverly zu.
Evans Mutter sah verlegen zwischen Miss Marlowe und Emily hin und her. „Lady Auriana hat durch Mr. Blakesly von Evans Verwundung erfahren. Und da sie ihren Mann mit ähnlichen Verletzungen gepflegt hat, ist sie gekommen, um uns ihren Rat anzubieten.“
Miss Marlowe neigte leicht den Kopf. „Wie freundlich von Ihnen, Lady Auriana.“
„Ich habe regelmäßig ihr Geschäft besucht – oft auch in Evans Begleitung –, und daher konnte sie sich vorstellen, wie besorgt ich bin“, fügte Lady Cheverly hinzu. „Nicht wahr, Lady Auriana?“ Sie schaute Emily geradezu flehentlich an.
Miss Marlowe musterte Emily eindringlich. Emily mochte sich gar nicht ausmalen, was das Mädchen von ihr denken musste. Aber im Moment waren solche Überlegungen
Weitere Kostenlose Bücher