Die schöne Mätresse
In dieser vertrauten Umgebung konnte er seine Bücher lesen, seine Post aus London durchgehen und immer wieder Emilys Bild betrachten, das er mitgebracht und über den Kamin gehängt hatte.
Auf den Beeten vor dem Fenster hatte er die Gärtner Lavendel setzen lassen. Trotz des kühlen Frühlings schienen die Pflanzen gut zu gedeihen. Im Sommer würden sie blühen und den intensiven Duft verbreiten, den Emily so liebte.
Um diese Zeit würde er seiner Verbände ledig sein und ohne Stock laufen können. Vielleicht würde er sogar mit dem Auge sehen können, das immer noch zugeschwollen war.
Und dann würde sie bereits verheiratet sein.
Seufzend nahm er einen Lavendelzweig aus der Vase auf seinem Tisch. Die immergrünen Blätter dufteten beinahe genauso wie die Blüten, hatte ihm der Gärtner versprochen. Als er die Blätter zwischen seinen Fingern zerrieb, erinnerte ihn der Duft sofort an Emily. Ihre glänzenden dunklen Locken, die nach einer Liebesnacht zerzaust waren, violette Augen, volle Lippen, die sinnliche Freuden verhießen …
„Evan?“
Als er die Augen öffnete, stand anstelle der großen Brünetten aus seinen Träumen eine zierliche Blondine in einem blassgrünen Kleid vor ihm.
„Andrea? Warum bist du hier? Ich dachte, ich hätte dich und Mama dazu überredet, London nicht zu verlassen. Stimmt etwas nicht? Mama ist doch nicht …“
„Alles ist bestens. Wie geht es dir?“ Sie trat zu ihm und küsste ihn sanft auf die Wange. Dann legte sie eine Hand auf seine Stirn. „Das Fieber ist weg, ausgezeichnet. Darf ich?“ Sie wies auf einen Stuhl.
„Bitte, setz dich. Was hat dich dann zu mir geführt?“
Sie lachte. „Etwas, das wichtig genug ist, um dich in deiner Klause zu stören“, neckte sie ihn. Ihr Blick streifte kurz das Gemälde über dem Kamin und richtete sich dann wieder auf Evan. „Ich sollte vermutlich Tee bringen lassen und zunächst höflich mit dir plaudern, aber dazu bin ich viel zu aufgeregt“, erklärte sie. „Du wirst mir doch vergeben, wenn ich darauf verzichte, mein Freund? Das warst du immer – mein bester Freund.“
Die ruhige, zurückhaltende Andrea verhielt sich ungewöhnlich lebhaft. Musste er sich Sorgen um sie machen? „Natürlich, Andrea. Aber warum bist du so aufgeregt?“
„Ich hoffe, ich werde dich mit der Neuigkeit nicht verärgern, Evan. Wenigstens nicht allzu sehr. Ach, ich sollte es einfach freiheraus sagen.“ Sie atmete tief durch. „Evan, ich möchte unsere Verlobung lösen.“
„Lösen?“ Das hatte er am allerwenigsten erwartet. „Warum, Andrea?“
„Die simple Wahrheit ist, dass ich mich verliebt habe. Oh, es mag keine außerordentlich gute Partie sein, aber seine Familie ist angesehen und sein Vermögen ausreichend. Aber selbst wenn nichts davon zuträfe, würde ich ihn trotzdem heiraten wollen. Ich liebe ihn über alles, Evan. Und er liebt mich auch. Es ist ein Wunder.“
Wieder lachte sie, und es lag echte Freude darin. Ihre blauen Augen glitzerten, und ihre Wangen waren zart gerötet. Sie wirkte wie eine verliebte Frau.
Seine anfängliche Angst, sie habe etwas vermutet und ihm zuliebe die Verlobung gelöst, schwand. „Erzähle mir von dem Mann, der dein Herz erobert hat.“
„Du hast ihn schon einmal getroffen, Evan. Es ist Giles Winstead, Captain Winstead, und er ist einfach wundervoll! Anfangs war er etwas zurückhaltend, aber wir konnten über Richard und die Armee sprechen. Bald wurden wir die besten Freunde.“
Er musste lächeln. Sie redete so schnell, dass er sich konzentrieren musste, um ihr folgen zu können. Seit dem verhängnisvollen Reitunfall erlebte er sie zum ersten Mal wirklich glücklich.
„Es war tröstlich, mit ihm reden zu können, als würde ich ihn schon mein ganzes Leben lang kennen. Und dennoch war da etwas Aufregendes … eine so starke Empfindung, dass es mir beinahe Angst machte. Zuerst glaubte ich, es liege an seinem fehlenden Arm, aber ich bemerkte ihn nach kurzer Zeit gar nicht mehr. Trotzdem wurde das ungewohnte Gefühl immer stärker. Dann, als er mich küsste …“
„Er hat dich geküsst?“ fragte Evan streng. „Ich hoffe doch sehr, dass er dich heiraten will.“
„Oh, das kam viel später.“ Andrea kicherte. „Natürlich will er mich heiraten, sobald er sicher weiß, dass unsere Verlobung beendet ist. Ich habe ihm versprochen, so bald wie möglich mit dir zu reden, Evan. Nun, ich habe ihn gewarnt, dass ich ihn und keinen anderen heiraten werde, selbst wenn du mich nicht gehen lässt. Und
Weitere Kostenlose Bücher