Die schöne Mätresse
lesen.
„Meine geliebte Tochter
,
wenn Du diese Zeilen liest, so bedeutet das, dass ich niemals die Chance hatte, diese Worte selbst auszusprechen. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, aber ich hoffe immer noch, dass Dich meine Agenten in Spanien oder Portugal finden und Dich nach Hause bringen werden. Gütiger Gott, was würde ich darum geben, Dein Gesicht noch einmal zu sehen und meinen Enkel kennen zu lernen, bevor ich sterbe.
Falls mein Wunsch dennoch nicht in Erfüllung gehen soll, so muss ich Dir wenigstens mitteilen, was ich schon vor Jahren hätte sagen sollen. Ich hatte Unrecht, Auriana. Es war falsch, meinem Zorn nachzugeben und Dir mit der Verbannung zu drohen, solltest Du gegen meinen Willen heiraten. Und es war falsch, meinen Fehler niemals zuzugeben. Ich hätte Dich darum bitten sollen, nach Hause zu kommen, nachdem du weggelaufen warst.“
Die Worte verschwammen vor Emilys Augen. Sie konnte kaum glauben, dass ihr strenger, unnachgiebiger Papa sich tatsächlich bei ihr entschuldigte. Trotz ihrer jahrelangen Verbitterung lebte immer noch das Kind in ihr, das sich nach der Anerkennung ihres Vaters sehnte.
„Deine liebe Mama, Gott sei ihrer sanften Seele gnädig, versuchte mich davon zu überzeugen, aber in meiner Arroganz wollte ich nicht auf sie hören. Ich war mir so sicher, Du würdest einlenken. Ich hoffte, das harte Leben als Soldatenfrau würde Dich letztendlich dazu bewegen, zu mir zurückzukehren.
Aber wir sind uns so ähnlich, nicht wahr, mein Kind? Ich hätte wissen sollen, dass Du mit derselben Entschlossenheit zu Deinem Ehemann stehen würdest, die Dich als kleines Mädchen auf dem Rücken meines Hengstes gehalten hat, obwohl Du kaum groß genug warst, um reiten zu können. Und als Du schließlich vom Pferd gefallen warst, hast Du Dich trotz Deines gebrochenen Arms geweigert, Dich zurücktragen zu lassen. Du bist schnurstracks zu mir gelaufen und hast mir den Sturz gebeichtet.
Ich hätte Deine Mutter nicht daran hindern dürfen, Dir weiterhin zu schreiben oder auch nur Deine Briefe zu lesen. Kein Wunder, dass Du meinen vermeintlichen Zorn gefürchtet und geglaubt hast, ich hätte Dich für immer verstoßen. Sonst hättest Du Dich nach dem Tod Deines Mannes nicht im Ausland verborgen gehalten.
Deine Abwesenheit ist die Strafe für meine Sünden. Ich kann nur hoffen, dass Du eines Tages zurückkehrst und diesen Brief liest. Dann wirst Du wissen, wie sehr ich Dich geliebt habe und immer noch liebe – und wie sehr ich die entbehrungsreichen Jahre bereue, die Dir meine Sturheit beschert hat. Die Jahre, die wir gemeinsam hätten verbringen können und um die ich uns beide betrogen habe.
Ich kann im Moment nur den ersten meiner zahllosen Fehler wieder gutmachen. Aber das wirst Du selbst feststellen, wenn Du eines Tages zurückkehrst. Mein liebes Kind …“
Die Nachricht umfasste noch eine weitere halbe Seite, doch die Buchstaben waren so verzerrt, dass sie nicht mehr als Worte erkennbar waren. Der Brief trug auch keine Unterschrift. Ihr Vater, das hatte Emily gehört, war nur wenige Stunden gestorben, nachdem er diesen Brief geschrieben hatte – vor beinahe einem Jahr.
Erst jetzt erkannte sie die Wahrheit. Nach Andrews Tod war sie ständig den Agenten ausgewichen, die sie aufspüren sollten. Sie waren allerdings nicht von ihrem Schwiegervater beauftragt worden, der ihr Drew wegnehmen wollte. Nein, Papa hatte sie geschickt, da er sich nach einer Versöhnung sehnte. Er hatte sie wieder nach Hause holen wollen, in ein komfortables, behagliches Heim, und er hätte sie aller Welt als seine geliebte Tochter präsentiert – ebenso wie Drew als seinen Enkel.
Seine geliebte und unglaublich reiche Tochter, wie sich herausstellte. Die Anwälte hatten sie in der letzten Woche kontaktiert. Nach gründlicher Prüfung der Fakten sei man zu der Überzeugung gelangt, dass sie tatsächlich die vermisste Lady Auriana Emilie Spenser Weston sei, Tochter des Duke of Suffolk und Witwe von Lieutenant Andrew Waring-Black. Unverzüglich nach Erledigung der letzten Formalitäten werde man ihr einen Brief ihres Vaters schicken, der bei ihnen hinterlegt worden sei. Gleichzeitig werde Emily ein äußerst großzügiges Erbe zuteil, das sie zu einer der wohlhabendsten Frauen von ganz England machen würde.
Und nun war dieser Brief eingetroffen. Sie musste unwillkürlich lächeln. Emily Spenser, die sich früher kaum eine Theaterkarte hatte leisten können, würde nun einen jährlichen Betrag von beinahe vierzigtausend
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