Die schöne Mätresse
hervorlugte.
Dieses Gesicht! Das Gesicht auf der Miniatur – lebendige grüne Augen unter dunklen geschwungenen Brauen, der lächelnde Mund … Wie angewurzelt blieb Evan stehen, und er umklammerte das Geländer. Jeder Atemzug fiel ihm mit einem Mal schwer.
Erst nach einem Moment wurde ihm bewusst, dass die Gestalt hinter dem Pastor kein Gespenst war, kein großer, breitschultriger Mann in roter Uniform, sondern nur ein kleiner Junge in kurzen Hosen und mit einer Kappe auf dem Kopf. Ein Junge mit dem Gesicht des Soldaten – zweifellos sein Sohn.
Emilys Sohn.
Für eine Weile nahm Evan nichts anderes wahr als das heftige Pochen seines Herzens. Wie in Trance registrierte er, dass der Butler die Tür öffnete, und hörte den Geistlichen zu ihm sprechen.
„Sir! Sir, geht es Ihnen gut? Drew, helfen Sie mir, den Gentleman hineinzubringen.“
Evan blickte an sich hinab und sah die Hand des kleinen Jungen auf seinem Ärmel. Seine Füße schienen zu funktionieren, denn mit dem Geistlichen auf der einen Seite und dem Jungen auf der anderen betrat er die Empfangshalle des Hauses.
Immer noch schockiert, bemerkte er den Befehl des Butlers und ein herbeieilendes Dienstmädchen. Der Knabe schaute zu ihm auf. Sein Lächeln war einem besorgten Stirnrunzeln gewichen.
Dieses Gesicht.
Evan hob den Kopf und sah Francesca. Hinter ihr stand Emily – regungslos wie eine Statue.
Ihre Blicke begegneten sich.
8. KAPITEL
„M ama, was für ein schönes Haus! Ich bin so froh, dass wir dich besuchen dürfen!“ Der Junge ließ Evans Arm los und rannte zu Emily.
Sie bückte sich und umarmte ihn liebevoll. Lächelnd schmiegte sie ihre Wange an sein dunkles Haar. Während sie den Knaben an sich zog, richtete sie sich auf und blickte Evan mit ausdrucksloser Miene an. „Du hast meinen Sohn also schon kennen gelernt. Und dieser Gentleman ist sein Lehrer, Pater Edmund. Ich möchte euch beiden den Earl of Cheverly vorstellen. Drew, verbeuge dich.“
„Es ist mir eine Ehre“, murmelte der Geistliche, und das Kind imitierte sein Verhalten mit einer korrekten Verbeugung und einem „Ich fühle mich geehrt, Sie kennen zu lernen, Mylord“.
Evan nickte ihnen stumm zu.
Der Pastor sah beunruhigt von Evan zu Emily und wieder zurück. „Ist dies eine unpassende Zeit für unseren Besuch, Mrs. Spenser?“
„Überhaupt nicht, Pater. Ich freue mich, Sie in meinem Haus empfangen zu dürfen.“ Die Worte „in meinem Haus“ betonte sie kaum merklich. „Francesca, nimmst du die beiden bitte mit und servierst ihnen Tee? Ich habe die Köchin einen Himbeerkuchen backen lassen, nur für euren Besuch. Ich werde gleich bei euch sein.“
„Natürlich, Mistress.
Senhor
?“
„Ama
!“ rief der Junge. Er löste sich von Emilys Seite und rannte zu Francesca, die ihn auf die Arme nahm und herumwirbelte. Nachdem sie dem Priester bedeutet hatte, sie zu begleiten, verließen alle drei die Halle. Francesca und das Kind redeten in einer unverständlichen Sprache, die Evan nur für Portugiesisch halten konnte.
Schweigend ging Emily in den vorderen Salon, und Evan folgte ihr. Er trat an die Anrichte und schenkte sich einen Brandy ein.
Sie wartete, während er einen Schluck trank. „Ist es denn mein Haus?“
„Dein … Natürlich ist es das!“ Er stellte das Glas ab, ging zu ihr und zog sie mit sich aufs Sofa. Sie rückte von ihm weg und verschränkte die Arme.
Der Schock war immer noch so groß, dass er sich nicht über seine Gefühle im Klaren war. „Ja, es ist dein Haus. Du kannst einladen, wen immer du willst. Aber warum, Emily? Warum hast du mir nicht von deinem Sohn erzählt?“ Das Wort kam ihm nur schwer über die Lippen.
Der Sohn deines geliebten Mannes, flüsterte sein Verstand wider seinen Willen. Wieder ergriff eine unerklärliche Eifersucht von ihm Besitz.
„Ich dachte, wir wären Freunde … enge Freunde“, sagte er ruhig. „Ich dachte, wir würden uns kennen. Zumindest weißt du beinahe alles über mich. Ich kann zur Not noch begreifen, dass du mir deine Namensänderung verschwiegen hast. Aber ein Sohn? Wie hast du annehmen können, ich sei an diesem kleinen Detail nicht interessiert? Hast du dich vor ihm wegen unseres … Verhältnisses geschämt?“
„Nein, das ist es nicht!“ rief sie. „Es ist viel komplizierter.“
„Dann wäre ich äußerst dankbar, wenn du dir die Mühe machen würdest, mir die Hintergründe zu erklären.“
Seufzend faltete sie die Hände. „Das meiste davon weißt du bereits – dass ich
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