Die schöne Mätresse
Lächeln schwand sofort wieder.
Jedes Jahr heirateten einige verarmte Aristokraten in wohlhabende Kaufmannsfamilien ein. Es war ein Tauschhandel, Titel gegen Geld. Die Töchter reicher Bürger waren kaum von den Adligen zu unterscheiden, da sie dieselben Pensionate besuchten, von den gleichen Schneiderinnen eingekleidet wurden und insgesamt ein ähnlich müßiges Leben führten.
Doch ein Geschäftsmann würde seiner Tochter ebenso wenig erlauben, in einem Laden zu arbeiten, wie ein Earl. Evan hatte niemals von einem angesehenen Aristokraten gehört, der eine Frau geheiratet hätte, die tatsächlich ihren eigenen Lebensunterhalt verdiente. Es war … undenkbar.
Verärgert trat Evan gegen einen Rinnstein. Endlich hatte er die Liebe entdeckt – aber er war sich weder sicher, ob seine Angebetete dieses Gefühl auch erwiderte, noch konnte er hoffen, dass die Gesellschaft eine solche Heirat jemals akzeptieren würde.
Seine Lage war so verzweifelt, dass er nicht mehr darüber nachdenken wollte. Er schalt sich selbst einen Narren und setzte seinen Weg fort.
Einige Tage später eskortierte Evan Andrea zu ihrer ersten Abendgesellschaft. Sie trug eines ihrer hübschen neuen Kleider. Es handelte sich um ein Dinner, das eine von Mamas Freundinnen gab, mit anschließendem Tanz. Um Lady Cheverlys schüchternem Schützling das Debüt zu erleichtern, war nur eine begrenzte Anzahl von Gästen eingeladen.
Trotz dieser Vorkehrungen war Andrea ungewöhnlich still. Sie hatte nicht einmal Interesse gezeigt, als Clare sie dazu gedrängt hatte, einen Teil ihrer exquisiten neuen Garderobe vorzuführen. Und ihr Hinken war noch deutlicher als sonst, ein sicheres Zeichen ihrer Nervosität.
Seit seiner Rückkehr nach London hatten seine Arbeit und die Bitte seiner Mutter, sie und die Mädchen auf diversen Verwandtenbesuchen zu begleiten, seine Zeit völlig in Anspruch genommen. Er hatte Emily nur kurz an jenem Morgen gesehen, als er ihren Sohn getroffen hatte. Seither beschäftigten ihn all die quälenden unbeantworteten Fragen und steigerten seine Enttäuschung über die Tatsache, dass er keine Zeit für einen Besuch erübrigen konnte. Es graute ihm bereits vor der Aussicht, den ganzen Abend beim Dinner und beim Tanz danach verbringen zu müssen. Doch später würde er Emily aufsuchen, gleichgültig, was geschah.
Aber jetzt brauchte ihn Andrea, daher verdrängte er seine eigenen Sorgen. „Stütze dich fester auf meinen Arm und schone dein Knie, Andy“, murmelte er. „Und keine Sorge. Dieses blaue Kleid passt ausgezeichnet zu deinen schönen blauen Augen und deinem blonden Haar. Könnte ich mich nicht an das unscheinbare Schulmädchen erinnern, ich würde dich für eine Prinzessin halten. Und das werden auch alle anderen heute Abend.“
Sie schenkte ihm ein schwaches, gekünsteltes Lächeln. Ihr Gesicht war unnatürlich blass. „Ja, bis sie mich humpeln sehen. Warum habe ich Richard nur mein Wort gegeben? Ich bin ein Feigling. Aber entweder verunsichere ich die Leute, wie daheim unseren armen Squire und seine Frau, die in meiner Gegenwart niemals wissen, was sie sagen sollen, oder sie lachen über mich. Vielleicht nicht offen, aber hinter meinem Rücken, so wie die Dorfkinder zu Hause in Wimberley. Sie werfen immer Kieselsteine nach mir, wenn ich vorbeigehe.“ Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern und schien den Tränen nahe. „Ich werde euch alle blamieren.“
„Diese unverschämten Kinder sollten dafür bestraft werden“, empörte er sich. „Hier wird dich niemand beleidigen.“
Sie drückte seine Hand und rang sich ein Lächeln ab. „Vielleicht nicht, wenn mein edler Ritter an meiner Seite ist“, sagte sie. „Aber du kannst nicht ständig bei mir sein.“
„Das brauche ich auch nicht. Wenn dich die Leute erst einmal kennen, werden sie dich mögen, so wie du bist. Wie könnten sie auch anders?“ Insgeheim suchte er indes verzweifelt nach einer Möglichkeit, ihr die Angst zu nehmen. Als sie die oberste Stufe der Treppe erreichten, hatte er eine Idee. Warum sollte sie vor den anderen Gästen herumlaufen, wenn ihr der Gedanke nicht behagte?
„Sobald wir unsere Gastgeberin begrüßt haben, halten wir uns abseits. Es ist nicht nötig, dass wir umherschlendern – ich werde die Gäste zu dir bringen. Natürlich nur diejenigen, die es wert sind, dass man sie kennen lernt“, fügte er augenzwinkernd hinzu. „Und wenn das Dinner angekündigt wird, werden wir erst nach den anderen hineingehen. Bis dahin dürften die
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