Die schöne Mätresse
meisten bereits an der Tafel Platz genommen haben, sodass dich kaum jemand beim Eintreten beobachten wird. Einverstanden?“
Vertrauensvoll blickte sie zu ihm auf. „Ja. Du bist so freundlich und klug, Evan. Kein Wunder, dass Richard dir vertraut.“
Ihre offensichtliche Bewunderung machte ihn verlegen. „Gut, dann ist es abgemacht. Ich sage Mama und Clare Bescheid. In der Gesellschaft der plappernden Freundinnen meiner Schwester wirst du ohnehin nur daran denken können, wie kindisch sie sind.“
Nach diesem Entschluss bemühte er sich darum, Freunde und Bekannte zu den Cheverlys zu führen. Nach einer Weile entspannte sich Andrea. Sie hatte ihre gesunde Gesichtsfarbe zurückgewonnen und verhielt sich normal.
Kurz vor dem Dinner, als er gerade mit einem Freund plauderte, bemerkte er eine gewisse Unruhe in der Gruppe um die Cheverlys. Besorgt ging er hinüber und bemerkte, wie seine Schwester enthusiastisch eine junge Frau mit braunen Locken und großen grünen Augen umarmte.
„Evan“, rief ihm Clare zu. „Komm, du musst Delia Winstead begrüßen, meine liebste Schulfreundin! Delia, dies ist mein Bruder Evan, Earl of Cheverly, aber wie du siehst, bildet er sich auf seinen Titel nicht allzu viel ein.“
„Was sollte sich ein alter Knabe wie ich auch einbilden“, scherzte er, während sie vor ihm knickste. „Entzückt, Miss Winstead. Sie haben doch schon den Schützling meiner Mutter kennen gelernt, Miss Marlowe?“
„Oh ja“, antwortete Andrea an ihrer Stelle. „Wir haben uns schon einige Male getroffen, und Miss Winstead ist sehr freundlich zu mir gewesen.“
Evan bemerkte einen Soldaten, der etwas abseits von den anderen Gästen an der Wand lehnte. Miss Winstead winkte ihm zu. „Ich habe jemanden mitgebracht, der unbedingt Miss Marlowes Bekanntschaft machen sollte – meinen Bruder, Captain Giles Winstead. Giles …“
Das grünäugige Mädchen warf dem Soldaten einen bedeutungsvollen Blick zu. Mit offensichtlichem Widerwillen wandte er sich ihnen zu. Als er sich umdrehte, sah Evan, dass der linke Ärmel seiner Uniform leer an seinem Körper hing. Sein Gesicht war blass und wirkte angestrengt, als ob ihn immer noch Schmerzen plagten. Seine Verletzung schien noch nicht lange verheilt zu sein.
„Ich musste die Gelegenheit einfach nutzen“, erklärte Miss Winstead, während der Soldat mit steifer Haltung zu ihnen kam. „Giles ist heute Abend nur hier, weil der Sohn unserer Gastgeber einer seiner engsten Freunde aus Oxford ist. Normalerweise habe ich kein Glück, wenn ich ihn überreden will, mich zu einer Abendgesellschaft zu begleiten.“
Nach der gegenseitigen Vorstellung bat die Gastgeberin zum Dinner.
„Bei Tisch werden wir getrennt sitzen, aber du musst später mit Miss Marlowe sprechen, Giles“, drängte ihn seine Schwester. „Ihr Bruder Richard ist beim fünfundneunzigsten Schützenkorps.“
Zum ersten Mal leuchtete Interesse in den ausdruckslosen grauen Augen auf. „Eine gute Truppe, Miss Marlowe. Meine Glückwünsche an Ihren Bruder.“
„Ich würde mich sehr gerne mit Ihnen unterhalten“, erwiderte Andrea. „Richards Briefe sind faszinierend, aber so voller fantastischer Geschichten, dass ich nur die Hälfte davon glauben kann. Vielleicht würden Sie …“
„Ich werde nicht bleiben.“ Er warf seiner Schwester einen ärgerlichen Blick zu. „Ich tanze nicht.“
Er wandte sich zum Gehen. Andrea streckte die Hand aus und bekam seinen Ärmel zu fassen – den leeren. Er hielt inne und blickte verwundert auf ihre Hand. Andreas Wangen färbten sich rot, aber sie ließ ihn nicht los.
„Ich tanze ebenfalls nicht“, flüsterte sie. Als sie zu Captain Winstead aufschaute, lächelte sie das engelhafte Lächeln, an das sich Evan aus der Zeit vor dem Unfall so gut erinnerte. „Könnten Sie nicht bleiben? Ich vermisse meinen Bruder so sehr. Es wäre ein großer Trost, mit jemandem zu reden, der weiß … was er durchmacht.“
„Giles, bitte“, fügte seine Schwester hinzu.
Einige Sekunden lang schwieg der Soldat. Ein Muskel in seiner hageren Wange zuckte, und er schien nachzudenken. Wenn er Andreas Lächeln widerstehen kann, überlegte Evan, hat der Mann mehr verloren als nur einen Arm.
„Nun gut“, sagte er knapp. „Ich denke, ich könnte noch für eine Weile bleiben.“
„Lord Cheverly?“ Seine Gastgeberin rief ihn, um ihren ranghöchsten weiblichen Gast in den Speisesaal zu begleiten.
Während Evan seiner Pflicht nachkam, drehte er sich noch einmal um. Er hatte
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