Die schöne Mätresse
einen der Wachmänner aus, die Lord Cheverly ihr zu ihrem Schutz versprochen hatte.
Erleichtert atmete sie auf. Dennoch überlegte sie den ganzen Morgen lang angestrengt, während sie an einigen Hüten arbeitete und auf Kunden wartete. Seine Lordschaft war offensichtlich ein Mann, der zu seinem Wort stand. Aber handelte er, wie er sagte, wirklich nur aus seiner bürgerlichen Pflicht heraus, unbescholtene Leute wie sie vor Verbrechern zu beschützen? Und sollte sie sich wirklich nicht um den Lohn des Wachmannes kümmern, der den ganzen Tag auf der anderen Seite der Straße stand?
Ihre Gedanken schienen sich im Kreis zu bewegen; sie kam immer wieder zu dem gleichen Schluss. Trotz der Beteuerungen Seiner Lordschaft durfte sie ihm nicht erlauben, ihre Sicherheit zu finanzieren.
Zum einen gestattete ihre Erziehung nicht, von einem völlig Fremden einen solch kostspieligen Gefallen anzunehmen. Außerdem wusste sie leider aus eigener Erfahrung, dass wohlhabende und einflussreiche Männer wie Cheverly nichts ohne Berechnung taten. Auf die eine oder andere Weise würde er irgendwann verlangen, dass sie ihre Schulden beglich. Und, was noch schlimmer war, er hatte Josh Harding einen Strich durch die Rechnung gemacht, ein Affront, den dieser Schurke sicher nicht ohne weiteres hinnehmen würde.
Emily erinnerte sich an Hardings brutale Kraft, mit der er sie an sich gerissen hatte, an seine Zunge, die Einlass in ihren Mund gesucht hatte. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie seine Rache aussehen würde, sollte sie jemals wieder in seine Gewalt geraten.
Wenn sie also nicht Ladenräume in einer anderen Gegend anmietete, was finanziell unmöglich war, würde sie in nächster Zeit dringend Schutz benötigen. Sie musste versuchen, diese Angelegenheit selbst zu regeln. Niemand konnte voraussagen, wie lange das unerwartete Interesse des Earl an ihrem Wohlergehen noch währen würde.
Vielleicht konnte sie seinen Anwalt bitten, die bereits eingeleiteten Vorsichtsmaßnahmen beizubehalten. Sie sollte den Mann sofort konsultieren und den zweifellos hohen Preis in Erfahrung bringen, den ihre Sicherheit kostete.
Nachdem sie diesen Entschluss gefasst hatte, betraute sie Francesca mit der Führung des Ladens und machte sich auf den langen Fußweg zu der Kanzlei des Anwalts Seiner Lordschaft.
Der gelangweilt wirkende junge Sekretär, der auf ihr Klopfen hin die Tür öffnete, musterte sie in unverschämter Weise von Kopf bis Fuß. Als sie ihm jedoch mitteilte, dass ihr Anliegen den Earl of Cheverly betreffe, änderte sich sein Verhalten sofort. Er führte sie respektvoll zu einem Stuhl und versprach, den Anwalt sofort über ihre Anwesenheit zu informieren.
Ein weiterer Hinweis auf den beträchtlichen Einfluss des Earl, dachte sie, während sie sich erschöpft zurücklehnte. Der Stuhl war mit Leder bezogen, schwere Damastvorhänge schmückten das Fenster, und ein türkischer Teppich zierte den Boden – die gesamte Einrichtung verriet Exklusivität.
Plötzlich erinnerte sie sich an einen Raum, der diesem sehr ähnlich gewesen war. Dort hatte vor langer Zeit eine widerspenstige junge Frau ihrem Vater mitgeteilt, dass sie die Saison nicht in London verbringen würde, wie er für sie geplant hatte. Stattdessen würde sie England auf einem Schiff verlassen, als Braut von Lieutenant Andrew Waring-Black. Danach hatte sie standhaft den Wutausbruch ihres Vaters über sich ergehen lassen. Was soll aus dir werden, wenn sich dieser junge impertinente Hitzkopf umbringen lässt, junge Dame? Du wirst mutterseelenallein in irgendeinem heidnischen Land sitzen und dir deinen Lebensunterhalt mit schwerer Arbeit verdienen müssen!
„Mr. Manners wird Sie jetzt empfangen.“
Die Worte des Sekretärs rissen Emily aus ihren Gedanken. Eilig erhob sie sich und folgte ihm.
Der Anwalt war ein dünner Mann mit großen Brillengläsern auf seiner schmalen Nase, der hinter einem wuchtigen Schreibtisch saß. Die Wände waren von Regalen mit unzähligen Gesetzbüchern bedeckt; vor dem Tisch stand ein Ledersessel auf einem weiteren geschmackvollen Teppich. Eine Öllampe verbreitete dezentes Licht, und es roch schwach nach Zigarren und Möbelpolitur. Die schweren Vorhänge waren zugezogen, als ob nicht einmal das Tageslicht an diesen heiligen Ort dringen dürfe. Der Anwalt bedachte Emily mit einem höflichen, aber zugleich prüfenden Blick.
„Das wäre dann alles, Richards“, sagte Mr. Manners. Der Sekretär, der sie
Weitere Kostenlose Bücher