Die schöne Mätresse
der seinen Mantel gebracht haben möchte? Falls ja, sagen Sie es bitte sofort. Ich möchte meine Dienstboten nicht unnötig ein zweites Mal in Anspruch nehmen.“
Eine kleine Ewigkeit lang herrschte schockiertes Schweigen. Dann ertönte plötzlich ein vergnügtes Lachen hinter den Leuten, die um Rob versammelt waren. „Lord und Lady Maxwell, Lady Auriana, vergeben Sie mir, wenn ich zu spät komme.“ Die Gruppe teilte sich wie das Rote Meer vor Moses, als Emilys Großtante Augusta, Dowager Countess of Doone, schwer auf ihren Stock gestützt vortrat.
Zu Emilys Erstaunen kam die alte Dame zu ihr und küsste sie auf beide Wangen. „Meine Güte, sie klingt genau wie ihr Papa, Gott hab ihn selig! Obwohl ich schwöre, es gehört schon einiges dazu, so arrogant wie Stephen zu sein. Sally …“, sie drehte sich zu Lady Jersey um, „… du erinnerst dich doch noch an Stephens vernichtenden Blick? Mein angeheirateter Neffe, der verstorbene Duke of Suffolk“, erklärte sie der sprachlosen Menge. „Hat dieses Mädchen soeben nicht ganz genau wie er ausgesehen?“
Emily fühlte sich auf einmal dem strengen Blick zweier kluger dunkler Augen ausgesetzt. Doch offensichtlich hatte sie die Probe bestanden, denn die „Sally“ genannte Frau kam zu ihr und reichte ihr die Hand. „Natürlich erinnere ich mich“, erwiderte sie mit einem wohligen Schauer. „Als ich noch ein törichtes Mädchen war, wagte ich es, in seiner Gegenwart zu scherzen, um ihn zu einem Tanz zu überreden. Der ‚Schwarze Duke‘ sah mich mit ebendiesem Blick an. Ich dachte, ich würde wie Lots Frau zur Salzsäule erstarren.“
Als die anderen Gäste schallend lachten, nahm Lady Jersey Emilys Arm und führte sie zum Rest der Gruppe. „Gestatten Sie mir, Ihnen einige Freunde vorzustellen.“
„Bring sie später zurück, damit sie ein wenig mit ihrer alten Tante plaudern kann“, rief Lady Augusta. „Sicher besitzt sie auch Stephens schnelle Auffassungsgabe und wird nur wenige anregende Gesprächspartner unter diesem langweiligen Volk finden. Nun, Maxwell, schaffen Sie mir einen bequemen Stuhl herbei. Meine alten Knochen schätzen es nicht, wenn ich lange stehe.“
Rob grinste. „Sofort, Ma’am. Martin, geleite Lady Augusta zu einem Stuhl neben dem Salon.“
Impulsiv ging Emily noch einmal zurück, um die alte Frau zu umarmen. „Danke, Lady Augusta, dass Sie zu meinem Ball gekommen sind.“
„Lass mich los, Kind, bevor ich mir noch etwas breche“, protestierte die alte Dame. „Übrigens war ich früher immer ‚Tante Augusta‘ für dich, Kleines.“
Eine schwache Kindheitserinnerung kehrte zurück. „Nein, ich nannte dich immer ‚Tante August‘, nicht wahr? Als Kind fand ich es wunderschön, dass du nach einem Monat benannt warst.“
Das Gesicht der alten Frau nahm einen zärtlichen Ausdruck an. „Oh ja, ich erinnere mich ebenfalls daran“, sagte sie liebevoll. Dann hob sie das Kinn und klopfte ungeduldig mit ihrem Stock auf den Boden. „Nun kommen Sie schon, junger Mann! Ich kann es kaum erwarten, zu diesem bequemen Stuhl zu gelangen.“
Erst in den frühen Morgenstunden betrat Emily ihr Schlafzimmer. Der Ball war zu einem großen Erfolg geworden. Die Anerkennung ihrer Großtante hatte den meisten Spekulationen über Emilys Herkunft und eine Liaison zwischen ihr und Rob ein Ende bereitet. Wie auch immer, sie hatte ehrlich auf Lady Jerseys Fragen geantwortet, dass sie auch in Zukunft Hüte und Kleider entwerfen würde. Ihre geschäftlichen Aktivitäten würden also weiterhin eine vollständige gesellschaftliche Akzeptanz verhindern.
Offensichtlich war sie in das Walhalla des Hochadels aufgenommen, auch wenn man sie wahrscheinlich niemals zu Almack’s oder zu höchsten Anlässen einladen würde. Doch solange Rob und Natalie nicht durch ihre Verbindung zu ihr leiden mussten und Robs Vormundschaft die Zukunft ihres Sohnes sicherte, war sie vollauf zufrieden.
Erschöpft sank sie aufs Bett, doch sie fand keinen Schlaf. Bald würde die Sonne aufgehen. Obwohl alles dagegen sprach, gedachte sie, ihr Versprechen zu halten. Sobald der Morgen hereinbrach, würde sie in den Park reiten, um Evan zu treffen.
16. KAPITEL
N achdem sie sich ruhelos von einer Seite auf die andere geworfen hatte, gab es Emily schließlich auf und war noch vor der Dämmerung aufbruchbereit. Sie überraschte den schläfrigen Stallburschen, als sie noch im Dunkeln die Stallungen betrat. Allmählich färbte sich der Himmel rosarot, und es war gerade hell genug, um
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