Die schoene Muenchnerin
ist Ihr Handy aus?«
»Weil Wochenende ist. Weil ich auch mal Pause mach.«
»Hummel, ich brauch dringend Ihre Hilfe. Ich hab heute Abend einen wichtigen Termin.«
»Ich auch.«
»Dienstlich?«
»Äh, ich, also, nein, privat.«
»Ich schon. Tun Sie mir bitte einen Gefallen: Übernehmen Sie Bajazzo heute Abend. Wo ich hingehe, kann er unmöglich mitkommen.«
»Ich …«
»… komme in einer halben Stunde bei Ihnen vorbei. Danke!« Mader legte auf. Durchaus mit schlechtem Gewissen. Nicht wegen Hummel. Wegen Bajazzo. Der sah ihn nämlich erwartungsvoll an. »Ja ja, Bajazzo, wir gehen gleich. Du darfst deinen Freund Hummel besuchen.«
O VANITAS!
Eine knappe Stunde später stand Mader auf dem Salvatorplatz vor dem Literaturhaus. Fünf Minuten zu früh. Er wollte Leonore nicht gleich Anlass zur Blutdruckerhöhung geben. Punkt Viertel vor acht entstieg sie einem Taxi – ihr beim Aussteigen freigelegtes Feinstrumpfbein wirkte irritierend attraktiv auf ihn. Öha.
»Charly, grüß dich«, hauchte sie nach dem Begrüßungsbussi.
Sie hakte sich unter und dirigierte ihn zum Seiteneingang des Literaturhauses. Sie nahmen den Lift und fuhren zur Bibliothek. An der Garderobe brach Leonore in herzhaftes Lachen aus. »Der Trachtenanzug vom Tegernsee!«
»Tja, Leo, Qualität ist nie aus der Mode.«
Sie musterte ihn von oben bis unten. Er war auf alles gefasst. Nur darauf nicht: Sie strich ihm über die Schultern der Jacke. »Ich weiß noch genau, wie wir ihn gekauft haben. Ein verregneter Tag. Du hattest überhaupt keine Lust, in den Laden zu gehen. Aber mir zuliebe hast du es getan.«
Er lächelte unsicher. In lebhafter Erinnerung an diesen Horrortrip. Er inmitten eines Trachteninfernos in grellem Neonlicht. Die Verkäuferin im gackerlgelben Dirndl hatte immer wieder gegluckst: »Mei, schaut des fesch aus …«
Trotz seines ungewöhnlichen Looks fiel Mader nicht auf, aber kein Wunder, denn der Künstler, ein sehr femininer, sehr blasser, sehr junger Mann mit sehr schlimmer Akne, hatte sich bereits auf der Bühne eingefunden und sortierte nervös seine Blätter. Das Publikum hing schon jetzt vorfreudig an seinen Lippen.
Kaum hatten Leonore und Mader in der letzten Reihe Platz genommen, erlosch die Saalbeleuchtung. Nur ein Punktstrahler auf den Dichter. Mader streckte den Rücken durch und hoffte nur eins: dass es möglichst schnell vorbei sein mochte.
Der Jüngling begann:
Bricht herein die Dunkelheit
Sirenenklang aus ferner Zeit
Hinter all den Fenstern
Geschichten von Gespenstern
Zombies sind wir, leere Hüllen
Können keinen Traum erfüllen
Schwarze Leere ohne Unterlass
O Vanitas, o Vanitas …
Der Wunsch nach »möglichst schnell« erfüllte sich für Mader tatsächlich. Er nickte sofort ein. Kein Wunder bei der schläfrigen Trübnis, die die vakuumisierten Worte bei ihm auslösten. Mader erwachte von dem donnernden Applaus, in den er sogleich lebhaft mit einstimmte.
Leonore hatte nicht gemerkt, dass er geschlafen hatte, so sehr hatte sie der lyrische Erguss des blassen Pickelhandtuchs in den Bann gezogen. »Großartig, großartig!« Sie kriegte sich gar nicht mehr ein.
»Ja, wirklich«, bemerkte Mader. »Das musste endlich mal gesagt werden.«
Leonore nickte heftig. »Ja, keiner sagt es so wie er, bringt sie so treffend zum Ausdruck, die triste Melancholie des modernen Menschen, gefangen in seiner unerfüllten Sehnsucht, in seiner ganzen Verzweiflung, jemals wirklich das Sonnenlicht zu erblicken.«
›Braucht er nur mal morgens aufzustehen und aus dem Fenster zu schauen‹, dachte Mader. Sagte er natürlich nicht. Stattdessen: »Ein profunder Blick auf die Nachtseite des Lebens.«
Leonore sah ihn erstaunt an. »Charly, seit wann hast du so viel Einfühlungsvermögen? Komm, wir trinken ein Gläschen.« Sie stand auf und steuerte auf die Menge zu, die sich in kleinen Grüppchen zuprostete.
Mader folgte Leonore und schluckte. Dr. Günther auch. »Mader, Sie hier?«
»Grüß Gott, Dr. Günther. Ja, ich musste mal, äh, unter Leute. Und Lyrik, das ist meine geheime Leidenschaft.«
Günther legte die Stirn in Falten. Dann lächelte er. »Ja, Geronimo ist eins der ganz großen Talente dieser Stadt.«
»Ein profunder Blick auf die Nachtseite des Lebens«, wiederholte sich Mader mit Kennermiene. Und setzte noch eins drauf: »Eine Ausweglosigkeit, wie man sie seit Beckett in solch schwarzen Tönen nicht mehr gehört hat – Entropie.«
Dr. Günther nickte irritiert. »Sauber, Mader. Entropie,
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