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Die schöne Parfümhändlerin

Die schöne Parfümhändlerin

Titel: Die schöne Parfümhändlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A MCCABE
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Hure!“
    Julietta trat nach ihm, aber ihre langen, weiten Röcke waren ihr im Wege. Sein Griff in ihr Haar wurde noch fester, undsie sah den glänzenden Dolch im Ärmel seines Zigeunerhemdes. Mit einem Mal verfolgte sie das Geschehen wie aus großer Entfernung, als wäre sie nur ein unbeteiligter Zuschauer. Nur schemenhaft nahm sie die atemlose, aufs Köstlichste erregte Menge um sich herum wahr, sah nicht mehr ihre gierigen, begeisterten Blicke, hörte nicht die gespannte Stille. Julietta bemerkte nicht einmal, wie Ermano plötzlich nur ein paar Schritte neben ihr auftauchte.
    Alles kam ihr vor wie ein absonderlicher Traum. Warum nicht Schiff und Parfümerie aufgeben und sich der Schauspielerei zuwenden? Jedermann schien doch auf die Narretei hereinzufallen.
    „Ich hasse Euch! Warum wendet Ihr Euch gegen mich?“, schluchzte sie.
    Der Dolch rutschte aus dem Ärmel in Marcos’ Hand. Julietta riss sich zusammen, machte sich gefasst auf den Stoß, der den Sack mit dem Schweineblut durchbohren würde, und den Moment, in dem sie zu Boden fallen musste. Danach würden Nicolai und seine Komödianten, verkleidet als Sargträger, sie fortschaffen, und dann …
    Julietta hatte keine Ahnung, was dann geschehen sollte. Würde der lächerliche Plan überhaupt gelingen?
    In glänzendem Bogen kam der Dolch auf sie zu, stieß durch ihren Rock auf den Sack darunter und löste einen warmen Blutstrom aus. Julietta hatte keine Not, Todesangst vorzutäuschen, indem sie einen gellenden Schrei ausstieß. Das Blut war ekelerregend, und der Stoß war kräftig genug gewesen, dass sie ihn im Magen spürte. Sie sackte zu Boden. Im Nu entstand ein geschäftiges Durcheinander um sie herum. Der Marmorboden, auf dem sie lag, überhöhte jedes Geräusch – die entsetzten Schreie der Leute, das laute Getrappel der Füße, als die Gäste flohen, da sie glaubten, ihr herrliches Karnevalsfest entwickele sich zum Blutbad.
    Julietta schloss die Augen und zwang sich, so wie Nicolai es ihr gezeigt hatte, den Atem zu verlangsamen, bis er so flach war, dass er nicht mehr zu hören war.
    „Mörder!“, hörte sie Ermano rufen. „Niederträchtiger Verräter! Ergreift ihn!“
    Sie hörte den Klang von Schwertern und Piken, als die Wachen auf Marcos zustürmten, sie hörte das Rascheln von Stoff, als der Doge und seine Ratgeber an den Rand des Podiums eilten. Jeden Moment musste Nicolai nun mit seinen Mitspielern auftauchen und sie in einem Sarg davontragen, in die Freiheit – tot für alle Venezianer. Dann würden Nicolais Gehilfen Marcos mit Hilfe des Drahtseiltrapezes unter der Decke retten, seinen Ersten Steuermann befreien und für immer aus Venedig verschwinden. Jeden Moment …
    Am liebsten wäre Julietta aufgesprungen, wäre gerannt wie all die anderen, um diesem grauenhaften Albtraum zu entkommen. Wie gerne hätte sie nur ein wenig die Augen geöffnet, um zu sehen, was um sie herum geschah. Aber sie zwang sich, liegen zu bleiben, bewegungslos und blind.
    Selbst als sie hörte, wie Ermano von dem Podest sprang und Marcos einen kräftigen Hieb in die Magengegend versetzte, rührte sie sich nicht. Marcos rang nach Luft und taumelte rückwärts direkt in die Arme der Wachen, als Ermano grölte: „Ist das Euer Dank? Für alles, was Venedig Euch gegeben hat? Mord im Palast des Dogen? Schafft ihn in die Bleikammern!“
    Julietta war auf dem Sprung, bereit, Marcos zu verteidigen und ihren Giftring einzusetzen. Jetzt, Nicolai! Jetzt!, flehte sie. Vorsichtig blinzelte sie in die Menge um sie herum.
    Marcos hechtete vor, befreite sich aus dem eisernen Griff der Wache, aber es war zu spät. Ermano hatte sich schon umgedreht und Juliettas Augen gesehen. Seine Kinnlade fiel herunter, und seine eisgrünen Augen zeigten etwas, was Julietta vorher noch nie dort gesehen hatte – Furcht.
    „Ihr seid eine Hexe. Ihr könnt von den Toten auferstehen“, flüsterte er.
    „Nein …“, begann Julietta. Eiskalte Angst stieg in ihr auf.
    Doch es war zu spät. Ermano sprang auf Julietta zu, packte sie mit eisernem Griff am Arm und zerrte sie hoch. Julietta schrie laut auf, vor Schmerz, aber auch aus Wut und aus Angst vor dem Wahnsinn, der sich bei Ermanos Berührung auf sie übertrug. Er schien unheimliche Kräfte zu besitzen. Die Gabe ihrer übersinnlichen Wahrnehmung sollte ihr in diesem Moment zum Fluch werden. In Todesangst schlug sie zu und ritzte seine Hand mit ihrem tödlichen Ring.
    Ermanos Griff wurde noch fester, als er auf das Rinnsal Blut auf seiner Haut

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