Die schöne Parfümhändlerin
„Manchmal befolgte ich Ratschläge, die waren … falsch. Vielleicht sogar gefährlich.“
„Euer Exzellenz?“ Marcos bebte vor Ungeduld. Was sollte das Gerede, wenn Julietta in Ermanos Klauen war? Wenn er in der nebeligen Nacht mit ihr verschwand?
„Ich weiß, Signor Velazquez. Hört mir zu. Heute erhielt ich Besuch von Balthazar Grattiano. Er hatte sehr darauf gedrängt, eine Audienz zu erhalten, denn er hätte eine Information von äußerster Wichtigkeit.“ Der Doge hob den Deckel der Schatulle und zog ein kleines Bündel Briefe heraus, das mit der dunkelgrünen Wachsplombe der Grattianos versiegelt war. „Balthazar Grattiano übergab mir diese Botschaften, die zwischen seinem Vater und einem zweiten bestechlichen Ratsmitglied ausgetauscht worden waren. Der junge Balthazar war sehr hilfreich. Er erzählte mir auch von einem Gespräch, das er im Haus seines Vaters mit angehört hatte. In diesem Gespräch wurde geplant, Signora Bassano der Giftmorde zu beschuldigen und Euch, Signor Velazquez, zusammen mit ihr umzubringen. Alles um des eigenen Vorteils willen, zum Schaden der Republik. Empörend!“
Der Doge stützte das Kinn auf seine gefalteten Hände und sah Marcos nachdenklich an. „Man hat Euch eine Nachricht geschickt, Eure Pläne zu ändern. Ich nehme an, die Botschaft hat Euch nicht erreicht.“
Marcos schüttelte den Kopf. „Nein, Euer Exzellenz. Deshalb verfolgten wir unseren Plan mit dem vorgetäuschten Mord und den Sargträgern.“
„Aha, ich verstehe.“ Andrea Gritti schien nicht überrascht von diesem wilden Plan zu sein. Selbstverständlich hatte er während seiner Regentschaft als Doge Schlimmeres erlebt. „Ohne Zweifel ist die verlorene Nachricht auch Ermanos Werk. Er hat seine Spitzel überall. Oder besser … er hatte. Ihr seid frei zu gehen, Signor Velazquez. Die Republik entschuldigt sich. Geht und findet hoffentlich Eure noch lebende Herzensdame. Grattianos Handeln ist unverzeihlich. Wir werden uns später mit ihm und seiner widerrechtlichen Aneignung von Macht und Gewalt beschäftigen.“
Marcos verbeugte sich kurz und eilte aus dem Raum. Der Schaden der Republik war Sache des Dogen und der Schar seiner Ratgeber. Die Zeit lief Marcos davon. Genug vom Wirbel um Verrat, Vergeltung und Blut. Jetzt hatte er nur einen einzigen Gedanken, auf den er sich so sehr besann, dass er kaum bemerkte, wie Nicolai und Balthazar Grattiano ihm folgten.
Er musste Julietta finden, bevor es zu spät war.
23. KAPITEL
Julietta kam wieder zu Bewusstsein. Sie fühlte sich, als tauche sie aus den Tiefen des Ozeans auf. Ihre Gliedmaßen waren kalt und steif, das Wasser um sie herum war schwarz wie die Nacht und zog sie heimtückisch zurück in die Tiefen der Ohnmacht. Sie genoss diese Ruhe, das sanfte Vergessen, das sie so verführerisch in den Armen hielt. Aber sie wusste, dass sie dieser Verlockung nicht nachgeben durfte. Sie musste kämpfen, sonst war sie verloren.
Angestrengt und mit aller Macht bemühte sie sich, nicht wieder in die unendlichen Tiefen der Besinnungslosigkeit abzugleiten. Schließlich gelang es ihr, die Augen zu öffnen und jenen einen Sonnenstrahl zu erblicken. Sie sah Marcos’ Gesicht und seine strahlend blauen Augen vor sich. Für ihn! Du musst aufwachen, du musst überleben!, schrie ihr Inneres.
„Uff“, stöhnte sie. Alles tat ihr weh. In ihrem Kopf dröhnte es, als sei eine ganze Zigeunerkapelle am Werke. Gerne wäre sie wieder in diese friedliche Stille abgetaucht, doch sie kämpfte weiter gegen dieses Bedürfnis. Sie versuchte sich zu erinnern. Was war eigentlich geschehen? Irgendetwas von entscheidender Bedeutung … Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Dort, wo normalerweise ihr Kopf war, schien nur noch weiche Wolle zu sein.
Vorsichtig drehte sie sich auf die Seite und versuchte, ihre Umgebung wahrzunehmen. Sie lag auf einem Bett, auf einer zerwühlten und verschlissenen Samtdecke. Direkt gegenüber befand sich ein Fenster, die Schlagläden waren einen Spaltbreit geöffnet, sodass dieser schmale Lichtstrahl sie erreichte. Die Sonne schien irgendwie kraftlos, als ob es schon spät am Tage wäre. Aber welcher Tag war überhaupt?
Julietta drückte eine Hand fest gegen ihre Stirn und saugte mit tiefen Atemzügen stoßweise die muffige Luft ein. Langsam wich das eigenartig unwirkliche Gefühl. Vorsichtig setzte sie sich auf und lehnte sich gegen die hölzerne Kopfstütze des Bettes. Sie sah die Bettpfosten, einen Sessel neben der Feuerstelle, eine Kleidertruhe am
Weitere Kostenlose Bücher