Die schöne Parfümhändlerin
blickte. „Was …“
Julietta schüttelte den Kopf. Sie war entsetzt über ihre voreilige Tat. „Alle Welt wird bald von Euren Schandtaten erfahren, Ermano“, flüsterte sie. „Aber leider werdet Ihr nicht mehr dabei sein. Ihr habt mich zur Mörderin gemacht.“
Ermano hob ihre Hand in die Höhe, um sich den Ring anzusehen. Der grüne Stein war auf der Innenseite, seine winzige Lade leer. „Gift“, sagte er, und sein Gesicht wurde noch bleicher. „Ihr wollt mich töten, Hexe. Gebt mir sofort ein Gegengift!“, röchelte er mit heiserer Stimme und schüttelte sie dabei am Arm.
Julietta war der Ohnmacht nahe, sie sah alles verschwommen, und ihr ganzer Körper schmerzte. Dennoch versuchte sie mit aller Macht, sich seinem harten Griff zu entziehen. Doch seine Niedertracht legte sich wie ein Netz über sie und machte sie hilflos. Es gelang ihr nicht, sich zu befreien, wehrlos war sie seinem mächtigen Willen ausgeliefert. Er zerrte sie durch den nun fast leeren Saal zu einer halb offenen Tür in der Freskowandbemalung. Ein geheimer Fluchtweg.
„Ergreift die Frau!“, rief der Doge. Doch Ermano hatte Julietta schon mit sich durch die Tür gezogen und verriegelte sie von innen gegen den Ansturm der Wachen, die völlig verwirrt von dem Verlauf waren, den der Abend genommen hatte.
„Lasst mich los“, schrie Julietta. Sie zog Ermano an den Haaren und trat ihm gegen die Beine. Verzweifelt wehrte sie sich, um dem dichten Netz seiner dunklen Gefühle, dem Wirrsal, das sie unaufhaltsam in die Tiefe zog, zu entkommen. Sie dachte an Marcos, daran, wie er um ihretwillen leiden musste, und kämpfte noch stärker.
„Genug“, brüllte Ermano. „Bei Eurem Geschrei kann ich nicht klar denken. Wir müssen von hier verschwinden.“
Sie sah einen Schatten auf sich zukommen, als er seine Faust hob. Dann verspürte sie einen harten Schlag, einen kurzen, scharfen Schmerz am Hinterkopf – und um sie wurde es dunkel.
„Wir müssen ihnen nach“, rief Marcos, der mit den Wachen kämpfte. Doch sein Ruf wurde nicht beachtet. Die Wachen ließen nicht von ihm ab. Schließlich gelang es vier von ihnen, ihn zu überwältigen.
Bevor in dem ganzen Durcheinander überhaupt jemand gemerkt hatte, dass Ermano mit Julietta als seiner Geisel hinter der Geheimtür verschwunden war, hatte sich der Doge eilig in ein kleines, fensterloses Nebenzimmer zurückgezogen. Einige wenige seiner Räte waren ihm gefolgt. Ihm Gehen hatte er den Wachen noch mit einer Geste befohlen, Marcos zu ihm zu bringen. Nicolai und seine Komödianten versuchten ihm zu folgen, aber die mit Eisen beschlagene Tür wurde ihnen vor der Nase zugeschlagen. Plötzlich, nach all den lautstarken Protesten, den Schreien und dem Blutvergießen, herrschte in dem großen Saal eine unheimliche, eisige Stille.
Hinter der massiven Tür schrie Marcos, er brüllte und flehte, Ermano zu suchen und Julietta zu retten. Er versuchte deutlich zu machen, dass jede Sekunde, die verstrich, kostbar war. Doch die Männer um ihn herum begegneten seiner Verzweiflung nur mit ausdruckslosen Mienen. Der Doge beobachtete ihn mit kalten, ungerührten Blicken, so als ob er sagen wolle: In meinem Leben habe ich schon viele derartige Szenen erlebt; Mord, Selbstmord und Geiselnahme können mich nicht mehr erschüttern.
„Beruhigt Euch, Signor Velazquez“, befahl Andrea Gritti, während er sich in einen Sessel mit gerader hoher Rückenlehne setzte. Die kleine Holzschatulle hielt er immer noch in der Hand. „Man wird sie finden. Sehr bald schon.“
„Euer Exzellenz, ich flehe Euch an“, bat Marcos, dem fast die Stimme versagte. „Bevor Ihr mich gefangen nehmt, lasst mich selbst nach der Signora und Ermano Grattiano suchen. Wenn Ihr mir erlaubt, Julietta Bassano zu retten, dann gehe ich anschließend gerne in den dunkelsten Kerker.“
Der Doge sah belustigt auf. „Aber Signor Velazquez! Wer spricht hier denn von Kerker?“
Marcos, der immer noch von den Wachen gehalten wurde, starrte den Dogen ungläubig an. „Ihr, Euer Exzellenz! War das nicht der Zweck des ganzen Abends?“
Andrea Gritti schüttelte den Kopf. Matt glänzte das Symbol seiner Macht. „Ich bin jetzt seit einigen Jahren der Doge dieser Stadt. Zuvor war ich Soldat, ein einfacher Mann, der sich gut auskannte mit Kanonen, Schwertern und Strategien. Mit den Menschen allerdings kenne ich mich nicht so gut aus, nicht so gut, wie ein Doge es sollte … ja müsste.“ Nachdenklich strich er mit der Handfläche über die Schatulle.
Weitere Kostenlose Bücher