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Die schöne Parfümhändlerin

Die schöne Parfümhändlerin

Titel: Die schöne Parfümhändlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A MCCABE
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gefangen gehalten zu werden und geheime Vorräte zu benötigen? In was für eine aberwitzige Situation war sie nur geraten? Natürlich hatte sie gewusst, wie selbstsüchtig und bestimmend Ermano war, wie verwöhnt von Macht und wie wenig er es ertrug, zurückgewiesen zu werden. Aber wer hätte jemals daran gedacht, dass er so weit gehen würde?
    Nachdem sie den letzten Rest Wein ausgetrunken hatte, öffnete sie die Truhe. Ein Kleid zum Wechseln fand Julietta nicht, aber einen von Motten zerfressenen Schal, den sie sich wärmend um die Schultern legen konnte, und ein Paar ausgetretene Lederschuhe. Zumindest musste sie so nicht auf Strümpfen gehen. Mit einem Streifen Stoff, den sie aus ihrem Rock gerissen hatte, band sie schließlich noch ihr Haar zurück und fühlte sich so halbwegs wieder als Mensch. Aber war sie auch stark genug, um zu fliehen?
    Die Tür war verschlossen, von außen fest verriegelt. Julietta hatte nichts anderes erwartet. Einen Moment lang rüttelte sie am Riegel und schob ihn ein paar Mal vergebens hin und her. Schließlich ging sie zurück zum Fenster. Zum Springen war es viel zu hoch. Vielleicht konnte sie sich ja aus irgendetwas ein Seil fertigen und sich daran zu Boden lassen?
    Sie sah hinunter auf den Weg, der so beängstigend weit entfernt war. Und selbst wenn es ihr gelänge, dort hinunterzugelangen, wie lange würde es dauern, bis Ermano käme, um nach ihr zu suchen? Wie viel Zeit bliebe ihr zur Flucht? Möglicherweise war sie hier schon seit Stunden eingeschlossen.
    Dennoch, sie musste es versuchen. Undenkbar, tatenlos in diesem Raum zu bleiben, eingeschlossen in einem leeren, abgelegenen Haus mit einem Wahnsinnigen.
    Sicherlich suchte Marcos nach ihr, aber es konnte Stunden oder sogar Tage dauern, bis er ihren Aufenthaltsort fand. Und das auch nur, wenn er das wüste Handgemenge im Palast überlebt hatte. Und dann saß er vielleicht bereits in den Bleikammern.
    Nein! Hastig bekreuzigte Julietta sich. Daran durfte sie gar nicht denken. Marcos lebte. Nach allem, was sie einander bedeuteten, war sie sich sicher, dass sie spüren würde, wenn er nicht mehr lebte. Ihr Herz klopfte heftig, aber nicht schmerzhaft, und sie verspürte keine Leere, die ihr das Ableben ihres Liebsten verraten hätte.
    „Er wird kommen“, wisperte sie. Sie wusste es, so sicher wie sie wusste, dass es bald dunkel wurde. Aber wie lange würde es dauern? Sie konnte nicht warten wie eine Prinzessin im steinernen Turm. Sie musste hier fort und Marcos finden, damit sie zusammen fliehen konnten. Das war ihr einziger Ausweg.
    Und sie musste sich beeilen.
    Julietta drehte sich um, zog erst die Decke vom Bett und dann das Leintuch. Mit Hilfe der scharfen Kante an der Kleidertruhe riss sie die Tücher in lange Streifen und knotete die Enden zusammen. Ihre Hände zitterten, aber sie gab nicht auf. Das Tageslicht wurde immer schwächer. Viel Zeit blieb ihr nicht.
    Fast hatte sie ihr behelfsmäßiges Seil fertig, als sie das befürchtete Geräusch hörte – knarrend wurde der Türriegel beiseitegeschoben. Ihr Gefühl hatte sie nicht vor den Schritten auf dem Korridor gewarnt, so vertieft war sie in ihre Arbeit gewesen. Hastig stopfte Julietta die Stoffstreifen in die Truhe, kletterte ins Bett und zog sich die Bettdecke bis über die Schultern, damit das fehlende Laken nicht auffiel.
    Lass es ein Knecht sein, der etwas zu essen bringt, flehte sie. Oder … oder …
    Aber ihr Flehen wurde nicht erhört. Langsam und ächzend öffnete sich die Tür. Ermano höchstpersönlich stand auf der Schwelle. Er hielt einen Kerzenleuchter hoch und blickte forschend in die Kammer. Wie eine Kreatur aus Dantes Inferno stand er im Kreis des Lichtes. Auch Ermanos prächtige Kleider waren zerrissen und schmutzig, am Wams hatten sich die Ärmel gelöst, das Hemd hing heraus. Über dem fahlen Gesicht standen seine weißen Haare zu Berge. Endlich einmal konnte er sein wahres Alter nicht verhehlen. Ein abgewrackter alternder Geck.
    Auf der Hand zeigte sich der verhängnisvolle Kratzer, unter der Blutkruste mittlerweile dick angeschwollen und hellrot verfärbt.
    „Ihr seid also wach“, sagte Ermano. Seine Stimme war heiser. Die grünen Augen funkelten wütend in den Höhlen. Er schwankte leicht, obwohl er sich mit der freien Hand krampfhaft am Türrahmen festhielt.
    Wie kann dieser Mann jemals Marcos’Vater gewesen sein?, fragte sich Julietta.
    Sie straffte die Schultern und versuchte, möglichst hochmütig und stolz zu klingen: „Ich … ich habe

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