Die schöne Parfümhändlerin
leise.
Balthazar nickte kurz. Im Mondlicht wirkten seine Augen trüb, die Gesichtszüge hart und ausdruckslos. Er schien um Jahre gealtert. In dieser Nacht hatte Marcos’ Halbbruder seine Träumereien verloren und war zum Mann geworden. Marcos hoffte nur, dass auch Balthazar einmal seine große Liebe fände, die ihm helfen könnte, die Verletzungen aus Kindheit und Jugend zu überwinden. Vor allem aber hoffte Marcos, dass Balthazar zuverlässig war.
„Mein Vater hat oft von diesem Landgut gesprochen.“ Balthazar schulterte seine irische Armbrust. „Außerdem gibt es sonst keinen Ort in der näheren Umgebung, wohin er hätte fliehen können. Unsere Vermutung ist bestimmt richtig.“
„Dann bleibt hier“, flüsterte Marcos seinen beiden Begleitern zu. Er zog sein Schwert aus der Scheide und balancierte den mit Leder bezogenen Griff in der behandschuhten Hand. Die blanke Klinge aus bestem Toledo-Stahl glänzte im Mondlicht.
„Ihr dürft da nicht alleine hineingehen“, widersprach Nicolai.
Marcos schüttelte den Kopf. „Falls Ermano dort wirklich mit Julietta ist, dann kann ich ihn allein viel leichter überraschen. So wie er heute Abend gehandelt hat, zeigt doch, wie leicht er aus der Fassung zu bringen ist. Wir dürfen ihn weder ängstigen noch erschrecken. Er würde sich nur verteidigen und Julietta verletzen.“ Wenn sie nicht bereits verletzt ist, dachte er bei sich.
Der Freund verstand. Er und Marcos hatten in der Vergangenheit manches Gefecht gemeinsam, Schulter an Schulter, durchgestanden. Doch es gab Schlachten, die musste ein Mann alleine kämpfen. Also nickte Nicolai zustimmend, zog sich die schwarze Kapuze über das blonde Haar und verschwand im Dunkel der Nacht. Und auch Marcos verstand. In der Not war sein Freund wie immer in der Nähe.
Balthazar wollte Nicolai schon folgen, dann drehte er sich doch noch einmal um und sah Marcos scharf an. „Werdet Ihr ihn töten, Signor Velazquez?“
Signor Velazquez – welche Formalität zwischen Brüdern. Aber Balthazar hatte diese Wahrheit gerade erst erfahren, eine Tatsache, die für Marcos schon so viele Jahre Gewissheit war. Sie waren Brüder von gleichem Blut, aber noch nicht Brüder des gleichen Geistes. Doch wer weiß, diese Nacht konnte auch das ändern.
Marcos nickte kurz. „Ja … wenn ich muss. Ich werde alles tun, um Julietta zu retten.“
„Gut“, sagte Balthazar und verschwand im Dunkeln.
Marcos war allein. Zumindest glaubte er es. Parallel zum Kamm des Hügels stand eine Reihe alter, knorriger Olivenbäume, deren Äste und Zweige im Mondlicht wie schaurige Gerippe aussahen. Marcos blieb stehen und lauschte. Es war vollkommen windstill, nichts regte sich. Doch dann hörte er ein Geräusch aus dem Olivenhain. Leises Schluchzen, Flüstern.
Die Hand am Schwert, kroch Marcos vorwärts. Zu dieser nächtlichen Stunde war er auf alles gefasst. Geister, Banditen oder gar ein wahnsinniger Ermano, der wieder neben seinem Opfer kauerte wie vor so langer Zeit neben Veronica Rinaldi? Doch Marcos entdeckte nichts dergleichen. Er fand nur das alte Verwalterehepaar, Rosa und Paolo. Dicht nebeneinander unter einer alten Decke saßen die beiden am Fuße eines Olivenbaums. Rosa schluchzte leise in sich hinein, während ihr Mann versuchte, sie flüsternd zu beruhigen.
Versehentlich trat Marcos auf einen trockenen Ast am Boden. Ein lautes Krachen ging durch die stille, gespenstische Nacht. Die Frau rang verschreckt und laut nach Luft, ihr Mann warf sich vor sie und zückte gleichzeitig ein stumpfes Küchenmesser.
„Wer ist dort?“, rief er mit heiserer Stimme.
„Marcos Velazquez.“ Marcos ging vorsichtig näher. „Ich war vor ein paar Tagen bei Signora Bassano.“
Paolo senkte zwar das Messer ein wenig, änderte aber nicht seine Abwehrhaltung, und auch die Frau hörte nicht auf zu jammern. „Wir erinnern uns. Seid Ihr ihretwegen hier?“
„Ist sie dort im Haus?“
„Er hat sie hineingetragen!“, meldete sich Rosa plötzlich. „Und dann hat er …“
„Er hat uns befohlen zu gehen“, erklärte Paolo. „Sie sind allein im Haus.“
„Ist einer von euch beiden verletzt?“, fragte Marcos.
Paolo schüttelte sein graues Haupt. „Nein, Signore. Rosa hat nur schreckliche Angst.“
„Die Signora! Die Signora war vollkommen leblos“, jammerte Rosa. „Sie war so still …“
Marcos lief es eiskalt über den Rücken. Er konnte es genau vor sich sehen: Julietta, bleich und reglos, die dunklen Augen für immer geschlossen.
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