Die schöne Parfümhändlerin
Kapitäns, den ganz Venedig verehrte? Zu ihrer eigenen Überraschung brannte wirkliche Neugier in ihr. Wie lange war es her, dass sie ein tiefes Verlangen verspürt hatte, einen anderen Menschen zu verstehen? Sie hatte sich bis eben kaum noch an das sehnsüchtige Wünschen erinnern können, die Gedanken eines anderen Menschen zu teilen. Und nicht mehr allein zu sein.
Aber warum sollte es gerade dieser Mann sein? Wer war er denn? Ein Fremder, den sie nur ein einziges Mal gesehen hatte. Weshalb plötzlich dieses lebhafte Interesse? Ach, sicher war sie auch nur von seiner Schönheit geblendet, so wie in diesen Tagen jedes weibliche Wesen in Venedig. Zurzeit drehte sich jedes Gespräch in ihrem Laden nur um Il leone – mit welcher Dame er getanzt hatte, mit welchen Ehren der Doge ihn überhäufte.
Normalerweise müsste ich das ganze Geschwätz über die sen Mann gründlich satthaben, dachte Julietta. Aber nein, sie lauschte aufmerksam jeder kleinsten Neuigkeit über ihn.
Nichts anderes als Fantasien war das Ganze, Ergebnis schlafloser Nächte und der Vorfreude auf Karneval. Er war nur ein Mann – so wie jeder andere auch.
„ Buona sera, Signore“, begrüßte sie ihn, indem sie aus dem Dunkel hervortrat. „Willkommen in unserem Laden.“
Velazquez drehte sich um. Das nachdenkliche Stirnrunzeln wich, und ein einnehmendes Lächeln erhellte wieder seine Züge. Irgendwie erschien Julietta die Farbe seiner Augen heute dunkler, blaugrün wie ein tiefer See. Er nahm ihre Hand und führte sie zu einer kurzen Begrüßung an seine Lippen. Kurz – aber nicht ohne Wirkung. Julietta hatte schon von dieser eigenartigen spanischen Sitte gehört, die auch von immer mehr Venezianern übernommen wurde. Dennoch erschien ihr diese Begrüßung ungeheuerlich unpassend – und aufregend. Ganz leicht spürte sie seinen Atem auf ihrer Hand. Dann trat Velazquez zurück, und ein feierlicher Ausdruck veränderte plötzlich seine Gesichtszüge.
Erschrocken wandte sich Julietta ab. „Ich … Euer Parfüm steht bereit, Signore. Ich habe es in ein violettes Muranoglas, die Farbe der Veilchen, gefüllt.“ Um Fassung ringend, bückte sie sich ein wenig länger als nötig unter den Ladentisch nach dem Flakon. Was hatte sie nur gespürt, als er ihre Hand so vertraulich berührt hatte? Ein kurzes Aufwallen von Leidenschaft, gewiss, aber da war noch etwas anderes gewesen. Ein gefährlicher Sog von etwas Dunklem, Geheimnisvollem, Überwältigendem.
Es war lange her, seit die Gabe ihrer Mutter sie heimgesucht hatte. Konnte es sein, dass dieses unheilvolle Erbe nun zurückkam? Nach so langer Zeit und ausgerechnet bei diesem Mann? Was konnte das bedeuten?
Julietta tauchte wieder unter ihrem Ladentisch auf. Die Hand, in der sie das Fläschchen hielt, zitterte unmerklich. Am liebsten wäre Julietta aus dem Laden in die frische kühle Luft geflohen und immer weitergelaufen, hinaus aus Venedig, bis sie sich allein auf freiem Feld befände. Doch das durfte sie nicht. Jetzt noch nicht.
Velazquez kam zum Ladentisch und betrachtete aufmerksam den Flakon. Einen Moment lang konnte Julietta sein Mienenspiel nicht erkennen, weil ihm die Haare wie ein glänzender Vorhang vor das Gesicht gefallen waren. Wie eine Närrin kam sie sich vor. Hatte sie nicht eben noch beschlossen, dass Velazquez ein Mann wie jeder andere sei? Dass keinerlei Magie im Spiel sei, keine dunklen Geheimnisse, die sie mit sich in die Tiefe reißen wollten?
„Das ist wunderschön“, sagte er leise.
Julietta drehte das Glas, sodass es im Licht, das durch das Fenster fiel, glitzerte. Ja, es war wirklich ein wunderschöner Flakon. Eines der feinsten Stücke ihres bevorzugten Glasbläsers in Murano. Das Glas war aus einem besonders tiefen Violett, mit winzigen Amethysten besetzt und einem filigranen Goldstöpsel. Ein besonders ausgewähltes Stück, passend für einen Helden. „Ich hoffe, Eurer Mutter wird es gefallen.“
„Sie wird es lieben. So wie sie ganz Venedig lieben würde, wenn ich es ihr zeigen könnte.“
„Die Stadt besitzt wahrlich viele Sehenswürdigkeiten, besonders um diese Jahreszeit. Die Piazza San Marco, den Dogenpalast, die wunderschönen Brücken …“ erklärte Julietta.
„Und die wunderschönen Frauen?“
Julietta lachte verlegen. „Ja, auch die. Venedigs Frauen sind berühmt für ihre Schönheit und ihre Anmut.“
Sein Blick wanderte von dem Flakon zu Juliettas Gesicht. Unverwandt beobachteten die blaugrünen Augen sie. „Und ganz besonders eine ist
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