Die schöne Parfümhändlerin
ihrer Herrin. Fest umklammerte sie Juliettas Ärmel, um sie im Gedränge nicht zu verlieren. Schließlich fanden sie ein sicheres Plätzchen am Kanalufer, von wo aus sie den Umzug beobachten konnten.
Julietta hielt sich an einem Pfahl fest, an dem normalerweise Gondeln angebunden wurden. Heute diente er ihr als Halt gegen die wogende Menge, die von hinten und den Seiten drückte. Zu ihrer Linken stand, umringt von einer Schar Bewunderer, eine Kurtisane mit hennarotem Haar und in ein mit Silberpailletten besetztes rotes Gewand gehüllt. Der süßlich schwere Duft von Gardenien und Bergamotte, der sich mit dem Geruch des reichlich fließenden Weines vermischte, wehte von ihnen herüber. Zu Juliettas Rechten stand ein junges Paar mit seinen beiden kleinen Kindern – einfache Leute, wie Julietta aus der schlichten Kleidung und dem Geruch von Kernseife schloss. An einem Tag wie diesem mischten sich alle Stände, Jung und Alt, Arm und Reich, Städter und Bauern, Kurtisanen und Nonnen. So ging es in den folgenden Wochen weiter, bis schließlich der Karneval seinen rauschenden Höhepunkt fand und sie danach alle wieder zurück in ihre eigenen Welten schickte.
Julietta schenkte den beiden aufgeregten Kindern ein freundliches Lächeln und richtete dann ihre volle Aufmerksamkeit auf den breiten Kanal. Obwohl der Doge noch nicht in Sicht war, mangelte es dennoch nicht an Spektakel. Gondeln und Barken schaukelten auf dem dunklen Wasser. Schwarz, gold oder weiß glänzten sie wie fürstliche Juwelenkästen in der Sonne. Jedes Boot war über und über mit Blumen und bunten Bändern geschmückt. Von einigen der größeren Gondeln klangen neben fröhlichem Lachen auch beschwingte Melodien von Lauten und Violen herüber.
Julietta lebte nun schon einige Jahre in Venedig. Viele Male hatte sie diesen festlichen Umzug bereits miterlebt. Und jedes Mal weckte er etwas tief in ihrer Seele: ihr Lachen und ihre Heiterkeit. Jedes Mal bekam sie wieder dieses unbändige Herzflattern. Dann erinnerte sie sich an die Zeiten, als sie noch ein junges, sorgloses Mädchen gewesen war, das sich auf nichts mehr freute als auf ein herrliches Fest, einen Tanz oder ein Minnelied über die höfische Liebe. Natürlich gab sie heute diesem ungezügelten Verlangen nicht mehr nach, aber tief in ihrem Inneren verspürte sie es immer noch.
Sie liebte diesen Tag ganz besonders. Es waren die Freude und all die Erwartungen, die mit ihm verbunden waren, die allgegenwärtige, übersprühende Lebenslust, die, wenn auch nur für kurze Zeit, Tod und Verderben vergessen ließen. Natürlich hing ihre frohe Stimmung dieses Mal zum Teil auch mit dem bevorstehenden Abend zusammen, das wollte sie gar nicht verhehlen. Heute Abend sollte sie ihn wiedertreffen, Il leone, Marcos Antonio Velazquez oder wie auch immer er sich zu nennen pflegte. Seltsam warm wurde ihr ums Herz bei dem Gedanken, dass sie ihn sehen und mit ihm tanzen würde. Er war ein Mann mit vielen Geheimnissen, und gerade das schien sie magisch anzuziehen. Aber sie sollte ihren eigenen Gefühlen besser misstrauen, und bestimmt wäre sie gut beraten, sich gar nicht erst auf ihn einzulassen. Doch an einem Tag wie heute fiel es ihr schwer, die gewohnte Vorsicht walten zu lassen.
Thanatos, der Sohn der Nacht, hatte sich in der Menge vor dem Sonnenlicht versteckt. Aber Eros, der schelmische Gott der Liebe, tauchte überall auf und sorgte in zahlreichen Kostümierungen für ausgelassene Stimmung. Und auch Dionysos war nicht weit, fiel Julietta auf, als sie beobachtete, wie ein junger Galan einer Kurtisane trunken hinterhertaumelte und wie einer seiner Freunde ihn davor bewahrte, in den Kanal zu fallen, indem er ihn bei seinem vornehmen Satinwams packte und zurück auf festen Boden zog. Die Frau und ihre Verehrer brachen in schallendes Gelächter aus und reichten den Weinkelch in die Runde, was im Verlaufe des Tages bestimmt Anlass für weitere ähnliche Szenen werden sollte.
„Signora Bassano! Welch seltenes Vergnügen!“
Augenblicklich schwand Juliettas Lächeln, als sie diese Worte hörte. Die weiche, schmeichelnde Stimme, die vom Wasser direkt unterhalb von Juliettas Pfahl ertönte, trübte ihren strahlenden Tag. Sie hätte schwören können, dass eine graue Wolke die Sonne verdeckte, doch als sie zum Himmel hinaufschaute, war er so strahlend blau und wolkenlos wie zuvor.
So fest, dass es schmerzte, umklammerte sie den Holzpfahl und spürte zugleich, wie sich Bianca dichter an sie drückte. Julietta blickte
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