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Die schöne Parfümhändlerin

Die schöne Parfümhändlerin

Titel: Die schöne Parfümhändlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A MCCABE
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zu lieben so wie im Heldenepos das Mädchen seinen Ritter. Sie war begierig gewesen nach seinen Küssen, hatte ihn angehimmelt, alles an ihm geliebt, die Stimme, den Blick und seine Berührungen. Doch all ihre Zuneigung hatte er in einem Rausch von bestialischer Gewalt zerstört und damit auch das Mädchen vernichtet, das sie bis dahin gewesen war.
    Nach Giovannis Tod war Julietta nach Venedig gezogen und hatte ein neues Leben begonnen. Sie hatte ein paar Liebhaber gehabt. Vornehme, verschwiegene Männer, deren Küsse angenehm und süß waren, die sie aber niemals so wie bei Giovanni in göttliche Höhen trugen. Und keiner von ihnen hatte sie jemals in tiefe Verzweiflung stürzen lassen.
    Marcos Antonio Velazquez konnte das. Sie ahnte es. Nein, sie wusste es. Er besaß ein Geheimnis, verborgen hinter seinem guten Aussehen, seiner vornehmen Garderobe und seinen glänzenden Manieren. Nur eine einsame Seele konnte eine andere erkennen. Sich mit ihm einzulassen brächte sie nur in Schwierigkeiten. Schließlich war ihr Leben, wie es jetzt war, gut. Ruhig und sicher.
    Sicher?
    Männer wie Il leone hatten keinen Platz in ihrem Leben. Da rauf musste sie achten.
    Julietta zog das Fenster zu und schob den Riegel vor. Dann nahm sie ihren Umhang vom Bett, und während sie ihn überzog, verließ sie leise die Kammer. Bianca schnarchte friedlich auf ihrem Lager im Korridor. Vorsichtig stieg Julietta über sie hinweg, die enge Treppe hinunter in ihren dunklen Ladenraum. Die Schlagläden waren dicht vor die Fenster geschoben, die Tür war verschlossen und verriegelt. Eigentlich war es unmöglich, dass jemand sie beobachten konnte. Dennoch schaute sie sich aufmerksam im Raum um, blickte in jede Ecke, auf jeden Flakon, jede Kiste mit neuen Waren. Erst dann ging sie zu dem in der Wand versteckten Paneel.
    Mit den Fingerspitzen fand sie sofort die winzige Erhebung im Holz und drückte darauf. Die Paneele glitten einen Spaltbreit zur Seite, gerade weit genug, dass sie hindurchschlüpfen konnte. Sie zündete eine Kerze an, bevor sie die Geheimtür hinter sich wieder verschloss und in ihrer eigenen, geheimen Welt verschwand.
    Es gab kein Fenster, keine natürliche Lichtquelle in ihrem Versteck. Nur das sanfte Flackern ihrer Kerze. Es war eine winzige Kammer, aber sie enthielt alles, was Julietta benötigte. Entlang den Wänden standen lange, schmale Tische, voll beladen mit Waagen, Bechern, silbernen Schalen, Mörsern und Stößeln, mit Löffeln und Messern in verschiedenen Größen. Dazwischen standen Regale mit Büchern. Es waren meist alte, dicke Folianten, die sie über die letzten drei Jahre mit viel Mühe und teuer erworben oder aber von ihrer Mutter und Großmutter geerbt hatte. Auf dem Boden standen abgedeckte Körbe, Keramiktöpfe und verstöpselte Flaschen. Von den dunklen Sparren an der Decke baumelten getrocknete Gewürzpflanzen neben anderen, seltsameren Zutaten. Es waren Substanzen, die die Kundschaft ihrer Parfümerie nicht unbedingt zu sehen brauchte.
    Niemals!
    Julietta machte sich sofort an die Arbeit, denn die Nacht war schon halb vorüber. Zunächst breitete sie ihre Hilfsmittel aus. Einen Becher mit klarem Wasser, eine Schere, Mörser und Stößel legte sie sich zurecht. Dann erwärmte sie Öl in einer kleinen Schale. Nachdenklich schaute sie zu den Kräutern, abwägend, welches Kraut ihren Zwecken am dienlichsten sein könnte. Engelwurz … ja. Brennnessel, Raute und Majoran … alles Pflanzen, die große Kräfte entfalten konnten, den Menschen Schutz und Weisheit zu geben. Mit der Schere schnitt sie von jedem Kraut einen Zweig ab und legte ihn auf ein kleines Tablett aus Silber.
    Dann kniete sie neben dem Tisch, faltete die Hände und schloss die Augen. „Oh Allmächtiger“, wisperte sie. „Ich bitte, dass die Geheimnisse mir heute Nacht verraten werden und mein Platz in der Welt wiederhergestellt wird. Helft mir, die Wahrheit zu erkennen. Führt mich bei meinem Handeln. Schützt mich.“
    Und helft mir, vorherzusehen, was dieser Signor Velazquez hier in Venedig sucht, fügte sie in Gedanken hinzu.
    „Amen.“ Nachdem sie sich bekreuzigt hatte, stand sie auf, nahm Mörser und Stößel und langte nach den zuvor ausgewählten Kräutern. Diese Stunden tief in der Nacht gehörten nur ihr und dem, was sie von Mutter und Großmutter gelernt hatte. Diese Stunden durften nur ihr gehören – wenn nicht, bedeutete es ihr Todesurteil.
    Doch trotz all der Gefahr, die mit ihrem Handeln verbunden war, musste sie es tun. Sie

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