Die schöne Rächerin

Dalton allzu feierlich nickte, spürte Collis, wie sein Mund trocken wurde.
    Die Royal Four waren ein geheimer Kader, der aus den vier einflussreichsten Männern Englands bestand, die traditionell aufgrund ihrer Intelligenz, ihren ethischen Werte und ihrer unerschütterlichen Loyalität England gegenüber ausgewählt wurden; einer Loyalität, die sich nicht einmal einem Herrscher beugte. Die Kobra, der Fuchs, der Löwe und der Falke. Jeder sorgsam vom eigenen Vorgänger ausgewählt und eingewiesen, genau wie Dalton von Lord Liverpool.
    Bis er seine Ausbildung bei den Liars begonnen hatte, hatte Collis nicht einmal gewusst, dass sein Onkel jenem elitären Bund angehört hatte und nach dem Rücktritt Simon Raines’ ausgeschieden war, um den Liar’s Club zu übernehmen. Und Collis wusste immer noch nicht, wer die neue Kobra war, geschweige denn, um wen es sich bei den anderen dreien handelte.
    Die Vorstellung, dass die mysteriösen Wachhunde des Vereinten Königreichs ihn im Visier hatten, verursachte ihm Unbehagen. Immerhin konnte sich nicht einmal der König über die mächtigen Vier hinwegsetzen. Und man sah sich nur an, was mit George passiert war! Dem Wahnsinn verfallen und für den Rest seines Lebens weggesperrt, während sein Sohn als Prinzregent regierte.
    Collis atmete hörbar aus. »Ich verstehe. So wie es aussieht, werden wir diese Mission wohl übernehmen.«
    Daltons Lippen zuckten, aber Collis führte das nicht auf einen Anflug von Humor zurück. »Ich entschuldige mich dafür, dich in diese Lage gebracht zu haben, Collis. Um ehrlich zu sein, ich hätte nie gedacht, dass du etwas an unserem Training beanstanden oder keine guten Leistungen bringen würdest.«
    Collis zuckte zusammen, obwohl er seine Leistung insgeheim für gut hielt. Er war zumindest verdammt gut darin, sich zu verstecken.
    Dalton fuhr fort: »Das musste einmal gesagt werden. Eins möchte ich noch hinzufügen: Ich bin von dir enttäuscht. Du hast ein solches Potential, doch du verschwendest deine Energien -«
    »Ich habe dir doch gesagt, das war ein Unfall gestern Abend!«
    »Ich meine nicht deine Rivalität mit Miss Lacey. Sondern eigentlich genau das Gegenteil. Wenn du dich nicht ständig mit Miss Lacey messen würdest, wärst du erst gar nicht so weit gekommen.«
    Er durchbohrte Collis mit seinem verdammten, enervierenden silbernen Blick. »Ein Liar braucht Leidenschaft - eine Passion fürs Spionieren, wenn du so willst. Aber bis jetzt sehe ich nur, dass sich deine Leidenschaft auf eine Mitschülerin richtet.«
    Collis war verblüfft. »Eine Leidenschaft für Rose? Bist du verrückt?«
    Dalton lächelte milde. »Und schon wieder protestierst du, Col. Wenn ich es nicht besser wüsste, müsste ich es nicht … leidenschaftlich nennen.«

    Rose machte sich auf den Weg zum Arbeitszimmer des Spionagechefs. Sie wusste, wo das Zimmer war, aber sie hatte es nie betreten. Es erwies sich als unbestreitbar maskulin und genauso elegant wie sein Bewohner. Sie stieß einen leisen Pfiff aus. Piekfein .
    »Die Wentworth-Akte«, hatte seine Lordschaft gesagt. »Sie liegt auf meinem Schreibtisch, ganz oben auf dem Aktenstapel.«
    Der Raum war dunkel, die Vorhänge waren zugezogen, sicher, um den Teppich vor dem grellen Tageslicht zu schützen. Der Schreibtisch war unübersehbar und groß genug, um als Bett herzuhalten, sollten die Zimmer im Haus einmal nicht ausreichen. Als ob das überhaupt möglich gewesen wäre.
    Als sie die Hand nach der obersten Akte auf dem Stapel ausstreckte, stieß sie mit dem Zeh gegen ein Tischbein und stolperte. Sie fing sich, aber die Akten gerieten ins Wanken und ein paar rutschten über die Tischkante und landeten auf dem Boden.
    »Zur Hölle, verdammt«, zischte sie. Sie kniete sich mit einem Seufzer auf den Boden und sammelte die Akten zusammen.
    Jetzt würde sie sie aufschlagen müssen, um die Richtige zu finden. Die Namen standen nur innen. Seine Lordschaft wartete sicher schon auf sie, also wickelte sie hastig das kurze Stück Schnur ab, das die erste Akte an einer Art Knopf verschlossen hielt, der auf der Vorderseite der Mappe angenäht war. »Name, Name, verdammt, wo steht der Name?«
    Sie suchte die erste Seite ab. Jackham . Oh du meine Güte. Sie hatte von ihm gehört. Er hatte jahrelang die Geschäfte im öffentlichen Teil des Clubs geführt, bevor er die Liars an die Franzosen verraten hatte. Er war tot. Man hatte ihn in der Themse treibend aufgefunden und nur noch anhand seiner Weste identifizieren können. Es