Die schöne Schwindlerin
war wie aus Granit, alles Engelsgleiche dahin.
Clara spürte, wie es ihr den Magen umdrehte. »J-ja, Kurt. So hat Dalton ihn jedenfalls genannt. Er hat gesagt, es müsse einen Mo-Mordbefehl gegeben haben.« Sie konnte nicht anders. Eine Träne lief ihr über die Wange. Es war eine sehr lange Nacht gewesen… oder waren es zwei? Und das Wort
Mordbefehl
erschien ihr zum ersten Mal entsetzlich real.
Nathaniels Gesichtszüge wurden weicher, als er ihre Angst sah. Er zog sie an sich und legte die Arme um sie. »Ruhig. Nicht weinen, Clara, nicht nachdem Sie so tapfer waren. Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Clara war verwirrt. Er umarmte sie?
Tröstete sie?
Sollte das eine diabolische Geste sein, sich ihr Vertrauen zu erschleichen? Doch auch wenn sie es besser wusste, sie
fühlte
sich getröstet.
Ein bisschen.
»Ich kann Sie jetzt nicht zurückbringen, und ich kann Sie auch nicht hier behalten«, murmelte er in ihr Ohr. »Ich muss jemanden holen, der weiß, was zu tun ist.« Damit drehte er sich weg, verließ den Raum und machte die Tür hinter sich zu. Diesmal hörte sie es deutlich klicken. Er hatte sie eingesperrt.
Clara betrachtete die kleine Scherenklinge, die sie fest in der Hand gehalten hatte. Er hatte es nicht bemerkt. Sie steckte sie schnell in die Tasche, als die Tür erneut aufging, und sah nachdenklich zu Lord Reardon auf.
»Ich weiß einfach nicht, auf welcher Seite Sie stehen«, sagte sie zu ihm. »Sie wissen so viel über Wadsworth und die anderen. Sie wissen so viel über Dalton Montmorency und den Liar’s Club. Und über mich wissen Sie mehr als ich selbst.«
Sie schob sich eine Strähne aus dem Gesicht und betrachtete ihn. »Warum müssen Sie so vieles wissen?«
Lord Reardon sah in Richtung seines Safes. »Ich bin also zu spät gekommen, ich verstehe. Das hätten Sie nicht tun sollen, Clara.«
Clara verschränkte die Arme. »Wissen Sie was, Mylord? Ich habe es langsam satt, dass man mir ständig sagt, was ich tun soll und was nicht. Und diese Geheimniskrämerei habe ich erst recht satt. Wenn Sie auf Seiten der Guten sind, was haben Sie dann zu verbergen?«
Er zog eine Augenbraue hoch. »Müssen Sie mich das wirklich erst fragen, Sir Thorogood?«
Clara holte hastig Luft. »Ah.« Verdammt, da war etwas dran.
Lord Reardon sagte: »Ich wollte Sie eigentlich zu meinem Vorgesetzten bringen, aber jetzt, wo Liverpool -«
Sein Vorgesetzter? Die Puzzelteile passten perfekt zusammen und ergaben ein Bild. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihm ins Gesicht. »Sie arbeiten auch für Liverpool, genau wie die Liars! Und Fleur – Fleur ist keine Frau, sondern ein Komplott.« Sie kam stolpernd auf die Füße und wich vor ihm zurück.
»Clara, warten Sie -« Er setzte ihr nach und packte sie an den Händen.
Sie stieß ihn mit aller Kraft weg. »Sie sind
gegen
mich! Lassen Sie mich gehen!«
Reardon ließ sie verblüfft wieder los. Sie hastete rückwärts und stolperte über den feuchten Saum ihres Kleides.
»Sie und Liverpool. Und Wadsworth! Sie planen ein Komplott gegen die Krone, Liverpool steckt dahinter! Ich habe gehört, was für ein skrupelloser, machthungriger… Aber sich gegen Prinzregent und König zu verschwören!« Sie raffte ihre Röcke und stürzte zur Tür. Sie passierte die Tür und war schon in der Eingangshalle, als Nathaniel ihr hinterher kam.
Die Vordertür war zugeschlossen, aber der Schlüssel steckte. In ihrer Hast drehte sie ihn zuerst in die falsche Richtung. Dann klickte das Schloss, und sie zog am Knauf, doch die Tür bewegte sich nicht.
Sie schaute auf und sah eine breite Hand, die sich über ihrem Kopf gegen die Tür stemmte. Sie wirbelte herum, drückte sich flach gegen das Holz und starrte Nathaniel an.
»Clara, Sie müssen mir glauben. Wir planen keine Verschwörung gegen die Krone. Liverpool ist so loyal wie immer, genau wie ich.«
»Wem gegenüber? Napoleon?«
Sie zielte einen Tritt an sein Schienbein, schaffte es aber nur, sich die Zehen zu prellen. Der Schmerz ließ sie nur noch wütender werden. »Sie sind wahnsinnig. Das ist es! Ich werde seit Tagen von einem Wahnsinnigen zum nächsten weitergereicht. Genug jetzt, ich sag es Ihnen! Sie lassen mich jetzt auf der Stelle gehen, oder – oder ich mache Sie mit meinen Karikaturen fertig!«
»Clara, Sie müssen mir jetzt zuhören, Sie sind wirklich in Gefahr. Sie haben ja keine Ahnung in welcher. Es gibt in ganz England keine Autorität, zu der Sie noch laufen könnten, und keine Menschenseele wird Sie
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