Die schöne Schwindlerin
kaum, durch das Fenster zu sehen, geschweige denn hinauszuklettern.
Die einzige Tür wurde von ihren beiden stoischen Rotfräcken bewacht, die auf jede ihrer Bitten mit höflicher, kategorischer Ablehnung reagierten. Der Doktor war da gewesen und schon wieder fort. Er hatte sie mit einem Verband und der Versicherung verlassen, sie werde lediglich eine kleine Narbe zurückbehalten.
Sie versuchte, sich einzureden, dass sie sich um nichts zu sorgen brauchte. Wenn entschieden wurde, was mit ihr zu geschehen hatte, würde sicher auch Dalton zugegen sein und dafür sorgen, dass ihr nichts zustieß.
Würde er das wirklich? Er war zwischen Pflichterfüllung und Gefühlen hin und hergerissen, und sie hatte nicht die geringste Ahnung, welche Richtung er einschlagen würde.
Ihr Gepäck war schon vor langem – mit ihr zusammen – auf dem Zimmer eingetroffen. Offenbar sollte ihr Zuhause für eine Weile aus diesen vier mit Papier tapezierten Wänden bestehen. Sie fragte sich, was Liverpool wohl sagen würde, wenn sie sie voll zeichnete.
Thorogoods Version der Sixtinischen Kapelle. Die zu sehen, sie vermutlich nicht mehr erleben würde. Clara legte sich auf die seidene Tagesdecke und betrachtete die goldverzierte Zimmerdecke.
Da drüben würde sie den jungen Prinzen hinmalen, wie er von einem jungen Wadsworth in Bann geschlagen wurde. Das nächste Bild zeigte einen vor Scham rot angelaufenen Prinzen, der Nathaniels Vater von seinen Befürchtungen berichtete, während das Kind Nathaniel mit grünen Augen um die Zimmertür herumspähte.
Vielleicht eine Bordüre um jede Szene mit kleinen Bildchen, die den Liar’s Club und seine Aktivitäten vorstellten. Sie würde lange, lange Zeit dazu brauchen, aber die hatte sie vermutlich.
In der hinteren Ecke würde sie Nathaniel zeigen, wie er die Ritterschaft infiltrierte, während eine kleine verzagte Gestalt in einem Wandschrank kauerte und hastig kritzelte.
Sie würde Dalton als eine Licht- und Schattengestalt porträtieren, hin und hergerissen zwischen Loyalität, Liebe und Ehre. Vielleicht auch sich selbst, als ruchlose Harpyie, die seinen Schatten mit Zähnen und Klauen zerfetzte.
Sie hatte während der letzten paar Wochen so vieles vermasselt, und gute Männer hatten wegen ihr zu leiden.
Wenn sie so weitermachte, sollte es ihr gelingen, innerhalb eines Jahres ganz England in die Knie zu zwingen. Napoleon würde es ihr noch danken, dass sie den Job für ihn erledigte.
Sie drehte sich weg, weil sie nicht mehr ertrug, wie ihr imaginäres Deckengemälde sie tadelte. Wie konnte es nur so weit kommen?
Sich bei Wadsworth einzuschleichen, um ein paar Missstände aufzudecken, was konnte daran so schlecht sein? Dass sie Rose geholfen hatte, war unbestreitbar etwas Gutes gewesen. Sir Thorogoods Karikaturen hatten auch ihr Gutes gehabt, wo sie die Notlage benachteiligter Menschen ans Licht gebracht hatten.
Doch dann hatte es jene Nacht der Intrigen und missverstandenen Gespräche gegeben und eine Zeichnung zu viel.
Eine Zeichnung zu viel…
Sie setzte sich auf. Ihre Lethargie war dahin. Eine Zeichnung hatte die Ereignisse ins Rollen gebracht. Eine Zeichnung würde sie anhalten.
Es gab im Zimmer nirgendwo Papier. Liverpool hatte ihr sogar die Tusche abgenommen. Sie riss unbarmherzig ein Stück gemusterter Tapete von einem unauffälligen Wandstück hinter dem Bett. Die Rückseite war hell genug, und sie war willens, den getrockneten Kleister zu übersehen. Sie kratzte mit dem Absatz den Ruß im Kamin zusammen und schob ihn in den Becher, der zu dem Wasserkrug gehörte, den man ihr dankenswerterweise gebracht hatte.
Dann gab sie Tropfen für Topfen Wasser zu, bis sie eine dicke, wenig attraktive Farbpaste hatte. Es spielte keine Rolle, der Graveur würde die Patzer und die klobigen Linien schon berichtigen. Das Einzige, was zählte, war, Sir Thorogoods letzte Karikatur so schnell wie möglich zu Papier zu bringen.
Sie benutzte eine Haarnadel als Feder, beugte sich im Licht einer einzigen Kerze tief über das Papier und zog vorsichtig die Umrisse vierer Gestalten auf das Papier, Zentimeter für kratzenden Zentimeter.
Eine Person stand in der Mitte auf einem Sockel, die nächste in einen Umhang gehüllt dahinter, und zwei kauerten an den Seiten und streckten verzweifelt die Hände nach der mittleren Figur.
Beim Anblick der Karikatur würde jeder sofort an »Fleur und ihre Jünger« denken, aber diese Zeichnung hier ließ das Thema in einem neuen Licht erscheinen, das all die
Weitere Kostenlose Bücher