Die schöne Spionin
musste die Namen haben!«
»Also haben Sie ihn gefangen gehalten und befragt.«
»Anfangs wollte ich ihn dazu überreden, mit mir durchzubrennen, wirklich. Aber er wollte diesen dummen Posten nicht auf geben.«
»Das können Sie nicht im Ernst erwartet haben.«
»Warum nicht? Ich bin schön. Ich bin erfahren. Ich bin der Traum jedes Mannes, dafür hat meine Mutter gesorgt. Und bis James kam, hat mir jeder Mann genau das gegeben, was ich haben wollte.«
»Aber in diesem Fall galt dann: ›Die Hölle kennt nicht solchen Zorn wie die verschmähte Frau‹.« Agatha kämpfte gegen einen hysterischen Lachkrampf. War diese Frau nichts anderes als eine abgedroschene Witzfigur? »Oder wollten Sie einfach nur das Geld?«
Lavinias Gesicht war plötzlich wutverzerrt. »Was wissen Sie schon davon, was es heißt, auf einem solchen gesellschaftlichen Niveau zu leben? Für Sie sind doch Ziegenböcke schon gute Gesellschaft!«
»Schafe, genau gesagt«, berichtigte Agatha.
»Nun, das passt doch, nicht wahr, Sie kleines Lämmchen?«, schnaubte Lavinia. »Und nun sitzen Sie hier, dumm wie eins von Ihren Schafen und reden mit dem Wolf.«
»Ich habe ja auch nichts besseres zu tun, solange ich auf S… James warte. Und er liebt mich wirklich.«
Ihr Selbstbewusstsein schien Lavinia den Rest zu geben, denn sie stürzte auf Agatha zu und ohrfeigte sie scharf.
»Dumme kleine Närrin! Glauben Sie alles, was man Ihnen erzählt ? Die Männer benutzen einen nur, also muss man ihnen zuvorkommen.« Lavinia marschierte wieder auf und ab, die Gesichtszüge verzerrt. »Wissen Sie, auf welche Weise ich während der Schreckensjahre in Ihr geliebtes England gelangt bin? In einem Sack in einer Taurolle versteckt. Auf einem stinkenden Fischerboot wie diesem hier. Ich war erst fünf Jahre alt, aber meine Mutter hatte Angst, was
englische
Matrosen einem so hübschen Mädchen antun könnten. Und sie hatte Recht. Ich habe ein Loch in den Sack gebohrt, um besser Luft zu bekommen, und da habe ich gesehen, was meine Mutter gegen ihren Willen für die Passage bezahlt hat.«
Agatha schüttelte den Kopf. »Keine Frau hat so etwas verdient«, sagte sie leise. »Aber trägt ganz England die Schuld daran, was ein paar wenige getan haben?«
»Ein paar wenige? Auch als wir in London angekommen waren, hat jeder Mann, der meine Mutter gesehen hat, versucht, sie in Besitz zu nehmen. Aber sie war klug und hat sie gegeneinander ausgespielt. So ist sie innerhalb eines Jahres von der Mätresse eines Bootseigners zu der eines Kaufmannes aufgestiegen, dann zu der eines Gentleman. Schließlich hat sie geheiratet. Sie hat mir beigebracht, wie ich bekomme, was ich will. Und ich habe einen Lord abbekommen oder etwa nicht?«
Agatha sah sich um. »Sie haben Jamie auf einem Boot wie dem versteckt, auf dem Sie und Ihre Mutter hergekommen sind?«
»Ein brillanter kleiner Schachzug, wenn ich das so sagen darf. Mit ganz unerwarteten Vorteilen. Schiffe lassen sich so leicht verlagern und keiner interessiert sich dafür.«
Agatha war über Lavinias Gleichgültigkeit entsetzt. »Wissen Sie, dass Ihretwegen fünf Männer sterben mussten?«
Lavinia schien überrascht. »Ach, ja?« Ein Schatten glitt über ihr Gesicht. »Beachtlich…« Sie fasste sich. »Nun, es geschieht ihnen recht, diesen englischen Schurken. Zu dumm, dass James keiner davon ist. Ich dachte eigentlich, er sei tot, denn meine Männer haben ihn während eines Sturms über Bord gehen sehen.«
»Er wäre auch fast gestorben.« Agatha hasste es, an die Gefahr zu denken, in der James gewesen war, als er sich entkräftet durch die hohen Wellen gekämpft hatte. »Wäre die Ebbe nicht gekommen…«
»Hm. Wie schade. Aber sicher erinnert er sich noch daran, wie ich ihn befragt habe.«
Agatha hatte nicht vor, sie eines Besseren zu belehren. »Aber warum bin ich jetzt hier? Ich kenne keine Namen.«
Bitte setz mich nicht unter Drogen, denn ich weiß mehr, als ich wissen sollte.
Jetzt verstand sie, weshalb Simon so vieles vor ihr hatte verbergen wollen.
»Natürlich nicht. Allein die Idee ist lachhaft. Für so etwas bedarf es ein
klein
wenig Intelligenz. Nein, Sie sind nur ein Ablenkungsmanöver. James wird Stunden damit verbringen, nach Ihnen zu suchen. Seit ich erfahren habe, dass er sich in Ihrem Haus versteckt, weiß ich auch, dass er hinter mir her ist. Ich kann es mir nicht leisten, dass er mir Schwierigkeiten macht. Ich habe eine neue, weit größere Mission. Eine, die mir eine stilvolle Rückkehr nach Paris
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