Die schöne Spionin
Dunklen. Abgesehen davon, dass die Nacht anbrach, natürlich.
Das Deck war mit stinkenden Netzen, dreckigen Kleidern und verworrenem Tau bedeckt. Hie und da scharten sich Möwen um den Müll. Lavinias Männer waren offenkundig schlechte Haushälter.
Agatha ärgerte sich über all die Hindernisse, die ihr das Fortkommen erschwerten und entschied, erstmal zu bleiben, wo sie war. Falls Rettung nahte, konnte sie es von hier aus sehen, und falls ihr Gefahr drohte, konnte sie die Leiter hinunter.
Sie hoffte nur, sie würde erkennen, um was von beidem es sich handelte.
James zog Simon im Hauptraum des Liar’s Club zur Seite. »Es wird Stunden dauern, die Docks abzusuchen, vielleicht sogar Tage. Wenn ich die verschlüsselten Passagen des Briefs richtig verstanden habe, dann soll es morgen passieren. Ich wette, sie wollen uns für den Besuch des Prinzregenten im Chelsea Hospital aus dem Weg haben.«
»Als ob das einen Unterschied macht.« Simon verwarf die Bedenken mit einem rastlosen Kopfschütteln. »Der Prinz wird gut bewacht.«
James nickte erleichtert. »Dann können wir all unsere Männer auf die Suche nach Agatha ansetzen.«
»Aber damit bleibt uns für die Suche nur begrenzt Zeit. Wir müssen sie bis zu dem Attentatsversuch gefunden haben, weil sie danach keinen Grund mehr haben, sie am Leben zu lassen. Sie müssen vielleicht um ihr Leben fliehen und den Ballast abwerfen.«
Bei den Bildern, die vor seinem inneren Auge erschienen, bereute Simon die armselige Wortwahl sofort. Er drehte sich nach der kunterbunten Versammlung um, die den Raum füllte. Köche und Diebe, Spione und Dienstboten. Pearson stand Schulter an Schulter mit Feebles, während Button mit leiser Stimme Jackham etwas zuflüsterte.
Die Uhr auf dem Kaminsims schlug zehnmal ins gedämpfte Stimmengewirr, und beim letzten Schlag waren alle verstummt.
»Wir haben eine lange Nacht vor uns, meine Herren – oh, Verzeihung, die Damen. James’ Schwester Agatha, die einigen von Ihnen unter dem Namen Nellie Berth bekannt ist, ist von der Gegenseite entführt worden.«
Die Leute nickten und flüsterten verärgert, und Simon staunte einmal mehr über Agathas Talent, die Loyalität und Zuneigung ihrer Mitmenschen zu gewinnen.
»Da James vor einiger Zeit auf einem Fischerboot festgehalten worden ist, das westlich von hier in einem kleinen Hafen vor Anker lag, und die Dienstboten der Winchells erklärt haben, während der letzten beiden Monate zweimal Proviant zu den Docks gebracht zu haben, konzentrieren wir unsere Suche auf den Hafen. Wir können nur hoffen, dass der Feind unsere heimischen Gewässer noch nicht verlassen hat.«
James trat neben Simon. »Wir haben Grund zu der Annahme, dass das Boot
Mary Klar
heißt und zuvor einem Burschen namens John Sway gehört hat. Kurt, du und Stubbs durchkämmt die Tavernen am Hafen. Findet Sway und stellt fest, ob er irgendeine Idee hat, wo das Boot jetzt sein könnte.«
Kurt nickte grimmig. Sicher, Kurt war immer grimmig. Er und Stubbs warteten, dass Simon sie entließ.
Simon nickte. »Ja, ihr könnt gehen. Und sämtliche neuen Informationen hierher.«
Dann waren sie fort, sein gefährlichster und sein jüngster Mann. Simon unterdrückte die Unruhe, die sich automatisch einstellte, sobald er jemanden losschickte. Er konnte sich jetzt keine Bedenken leisten.
»Ich brauche zwei Männer, die sich ins Hafenbüro einschleichen. Sämtliche Schiffe sind mit Zielort und Liegeplatz registriert. Die betreffenden Informationen sind unter Umständen gefälscht, aber vielleicht bringen sie uns trotzdem weiter.«
Feebles erhob sich. »Hört sich wie ne Arbeit für mich an, Chef.«
»Exzellent. Nimm dir jemanden mit, der nötigenfalls für Ablenkung sorgen kann.« Simon begutachtete seine kleine Armee. Button straffte hoffnungsvoll die Schultern, als Simons Blick ihn streifte. Simon nickte. »Ja, Button soll mit dir gehen, Feebles. Ihre Theatererfahrung könnte sich hier als hilfreich erweisen, Button.«
»Ja, Sir, Mr Rain.«
Feebles sah seinen neuen Partner schief an, wollte Simons Wahl aber offenkundig nicht diskutieren. »Gut, wir sind schon weg.
Mary Klar
, haben Sie gesagt?«
»Oder alles, was dem einigermaßen nahe kommt. Shay ist kein großer Buchstabierkünstler.«
Sie gingen. Simon verteilte die abzusuchenden Abschnitte, und bald folgten ihnen andere. Zu zweit und in größeren Gruppen verließen sie den Raum, bis nur noch James, Simon und Sarah, die Köchin, da waren.
»Gehen wir denn nirgendwohin,
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